Kampf um das Gedenken

geschrieben von Marcus Pilarski / Käthe Dost

5. September 2013

Offen und emanzipatorisch oder staatlich reglementiert?

Mai-Juni 2011

Die Initiative für einen Gedenkort ehemaliges Jugendkozentrationslager Uckermark e.V. hat sich aus einem Netzwerk von Antifaschistinnen und Feministinnen gegründet, das seit Mitte der 90er-Jahre zum ehemaligen Jugend-KZ und späteren Vernichtungslager Uckermark forscht, Kontakte zu Überlebenden herstellt und sich für die Einrichtung eines Gedenkortes einsetzt.

»Wir wollen kein Großvätergedenkverein sein!« fordert der Antifaschist und Überlebende des KZ Sachsenhausen Karl Stenzel und bezweifelt, dass die Geschichte des deutschen Faschismus im vorherrschenden Geschichtsbewusstsein ausreichend verankert ist. Denn: Die Relativierung des deutschen Faschismus hat Konjunktur – die dem entgegen stehenden Stimmen der Überlebenden werden weniger.

Für uns als nachgeborene Antifaschistinnen und Antifaschisten heißt das: Wir müssen den Übergang vom kommunikativen zum kollektiven Gedächtnis aus unserer Perspektive mitgestalten. Wir müssen uns sowohl in den Diskurs als auch in die Realpolitik einmischen. Wir dürfen das Erinnern nicht allein dem Staat und den von ihm bestallten Historikerinnen und Historikern überlassen. Wir sind da – wir sind die dezidierten Vermächtnisnehmer der Überlebenden.

Seit der Gründung der VVN-BdA-Landesvereinigung Brandenburg im Jahr 2007 haben wir in unserem Land wichtige gedenkpolitische Initiativen auf den Weg gebracht und uns öffentlichkeitswirksam eingemischt – z.B. in die parlamentarische Debatte um das Gesetz für einen »Diktaturbeauftragten«. Und wir haben uns seither um die Verankerung »vergessener« Orte der NS-Verfolgung im öffentlichen Bewusstsein bemüht.

»Uckermark«, angrenzend an das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, ist ein solcher »vergessener« Ort. Die Erinnerung an seine Geschichte und an die betroffenen Menschen war fast ausgelöscht. In diesem »Jugendschutzlager« wurden ab 1942 1200 Frauen und junge Mädchen im Namen der »Rassenhygiene« gequält und von Januar bis April 1945 bestand an dieser Stelle ein Vernichtungslager. Nach Abzug der GUS-Streitkräfte fanden seit 1997 jährlich Baucamps der Uckermark-Initiative zur Erhaltung und Kenntlichmachung des Ortes in enger Zusammenarbeit mit der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis (LGRF) und in Abstimmung mit der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück statt. Ziel war ein offenes, emanzipatorisches Gedenken. Nach der der Uckermark-Initiative nach massivem politischen Druck öffentlich zugesagten Konversion des Geländes im Jahr 2011 steht aktuell die Konzeption zur Gestaltung eines »würdigen Gedenkortes« (Versprechen des Ministerpräsidenten Brandenburgs Matthias Platzeck) im Fokus des Geschehens. Fakt ist: Ohne die Uckermark-Initiative und das Engagement der LGRF gäbe es diese Aufgabe nicht. Und: Die Aktivistinnen wollen an der konzeptionellen Weitergestaltung des zukünftigen Gedenkortes beteiligt sein und fordern Entscheidungsbeteiligung ein.

Nach zähem politischen Ringen wurde jetzt ein demokratischer Prozess zur Entwicklung der Nutzungs- und Gestaltungskonzeption für den Gedenkort in die Wege geleitet, der neu ist und zeigt, dass sich der politische Kampf um Beteiligung an Entscheidungsprozessen lohnt. Die VVN-BdA Brandenburg unterstützt diesen Prozess praktisch durch Teilnahme an Gesprächsrunden zur Konzeption und durch Interventionen bei verantwortlichen Stellen. Wir handeln dabei stets in Abstimmung mit der Uckermark-Initiative und der LGRF, um zur Konsensfindung über die zukünftige Gestaltung und Nutzung des Geländes beizutragen.

Dass auf dem Uckermark-Gelände überhaupt ein Gedenkort entstand und weiter entwickelt werden kann und dass nicht auch hier einfach Gras über Orte nationalsozialistischer Verbrechen wächst, ist der Uckermark-Initiative und ihrem kontinuierlichen, einen immens hohen Aufwand fordernden Engagement seit Mitte der 90er-Jahre zu verdanken.

Zu Recht besteht daher die gedenkpolitische Deutungshoheit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten für diesen Ort nicht mehr uneingeschränkt.

Kampf um das Gedenken

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Zum neuen Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung

Nov.-Dez. 2007

Kulturstaatsminister Bernd Neumann von der CDU hat am 26. Juni 2007 einen Entwurf zur Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption gemäß Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 zur Vorlage im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages übergeben. Das Konvolut von 27 Seiten soll ein neues Gedenkstättengesetz der Bundesrepublik Deutschland im Parlament vorbereiten. Der Titel der Vorlage lautet: »Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen«. Dazu wird es nun in den nächsten Wochen öffentliche Anhörungen und interne Beratungen geben. Die vom Gesetz Betroffenen sind aufgefordert, ihre Meinung zu artikulieren. Im Ergebnis soll eine staatliche Richtschnur für zeitgemäße deutsche Erinnerungskultur entstehen. Für uns, die wir Gedenkstätten- und Erinnerungspolitik als eine Hauptsäule unserer Arbeit betrachten, Grund genug, den Entwurf genau zu prüfen.

Grundtenor der Empfehlungen der Enquete-Kommission des Bundestages zur »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit« war die Delegitimierung der DDR und ihre Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus. Die finale Botschaft der jetzigen Vorlage besteht darin, diese Totalitarismusthese weiter zu beweisen. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wurde die Absicht erklärt, in der Gedenkstättenkonzeption eine »angemessenen Berücksichtigung der beiden deutschen Diktaturen« fortzuschreiben. Es geht also wieder nicht um Vergleiche im Sinne der Komparatistik, die eine wichtige Disziplin in der Geschichtswissenschaft darstellt. Gemeint ist hier erneut nur eine Gleichsetzung, gleichsam als Bestätigung einer vorgefassten Meinung. Wir Antifaschisten haben nichts gegen eine kritische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, auch nichts gegen die analytische Aufarbeitung antisemitischer Tendenzen etwa in der Tradition der Linken. Es muss aber aufgedeckt werden und nicht vorurteilsgeladen zugedeckt. Antikommunistische Vorurteile sind dabei nicht hilfreich. Wichtig wäre ein offener, streitbarer Dialog all derer, die an historisch fundierten Auseinandersetzungen interessiert sind.

Um Zukunft zu gewinnen ist die Kenntnis von Vergangenheit wichtig. Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte muss allerdings der historischen Wahrheit und Wahrhaftigkeit verpflichtet sein. Jeder Versuch einer Gleichsetzung mit dem Völkermord-Regime des Faschismus kommt einer Verharmlosung der Untaten des deutschen Faschismus gleich. Das Gedenken und die Vertiefung der Erinnerung sind wichtige Aufgaben bei der Erziehung der nächsten Generation. Beides muss in Bildung, Kunst und Kultur ihren Niederschlag finden. Samuel Korn, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, wirft dem Konzept vor, es verzichte auf die Souveränität des bisher geltenden Gedenkstättenkonzeptes, das explizit die inhaltliche Autonomie und politische Selbständigkeit als Kernmerkmal demokratischer Erinnerungskultur und politischer Selbständigkeit betonte. Der Entwurf enthielte sich nicht einer parteilichen Geschichtsdeutung, er habe geradezu einen autoritären Weisungsstil.

In Sachsen hatte schon vor einigen Jahren ein Gedenkstättengesetz in Sinne der Gleichsetzung von totalitären Systemen zu einem Eklat geführt. Damals haben die Vertreter der Opferverbände, wie die Zentralräte der Juden und der Sinti und Roma sowie die VVN-BdA und die Organisation der Opfer der NS-Militärjustiz die Stiftung verlassen und sind bis heute nicht in das Gremium zurückgekehrt. Besonders im Ausland fand dieser Vorgang große Beachtung. Angesichts von Thesen wie: »Beide Diktaturen standen jeweils auf ihre Weise einem demokratischem Rechtsstaat diametral entgegen und bekämpften diesen«, war damals von einem »erinnerungspolitischen Paradigmenwechsel« gesprochen worden. Der vorgelegte Entwurf stellt einen weiteren Versuch dar, derartige Positionen gesetzlich zu verankern. Eine neue Runde im Kampf um die Erinnerung hat begonnen.