»Konserven« aus dem KZ

5. September 2013

Gespräch mit Gisela Lingenberg über ihren Stiefvater Wilhelm
Betke

Sept.-Okt. 2009

Der DEFA-Film von 1961 »Der Fall Gleiwitz« behandelt eine Episode der von der SS organisierten Aktion.

Regie: Gerhard Klein

Darsteller u.a.: Hannjo Hasse, Herwart Grosse, Hilmar Thate, Rolf Ludwig

(Als DVD erhältlich.)

Gisela Lingenberg ist Mitglied im Vorstand der VVN-BdA Berlin. Mit ihr sprach Helmut Solf

antifa: 1999 gab es im Zellenbau der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen eine Ausstellung mit dem Titel »Der Führer braucht einen Kriegsgrund«, in der auf die Schicksale von fünf namentlich bekannten »Konserven« aus dem KZ, darunter auch dein Stiefvater, Wilhelm Betke, eingegangen wurde. Wie war es zur Einlieferung deines Stiefvaters in das KZ Sachsenhausen gekommen?

Gisela Lingenberg: Ich weiß, dass Wilhelm Betke 1904 bei Bromberg geboren wurde und seine Eltern als Schnitter nach Garzau, Kreis Niederbarnim kamen. Er hatte eine etwas bessere Ausbildung, kam mit der großen Stadt Berlin in Berührung, wurde Mitglied der KPD und des RFB.

Nach dem Reichstagbrand hat er mit anderen in Rehfelde Naziplakate abgerissen. Es kam dabei zu Schießereien – ein SA-Mann wurde verletzt. Er und andere wurden verhaftet. Noch im Sommer 1933 wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt – es wurden zwölf. Zuerst kam er in das KZ Börgermoor/Esterwegen und 1938 in das KZ Sachsenhausen. Seine Fähigkeit als Tischler brachte ihm ein, dass er auch in den Wohnungen der Offiziere mal ein Fenster oder anderes reparierte.

antifa: Wie kam Wilhelm Betke in das von der SS aufgestellte »Konservenkommando« ?

Gisela Lingenberg: Ich weiß, dass Wilhelm Betke sich auch im KZ nicht duckte und dadurch auffiel. Er sprach polnisch und war als Kommunist sicher einer, der weg sollte. Nur so kann ich mir vorstellen, wählte man ihn für die »Konserven« aus. Man kann annehmen, dass diese Auswahl nach dem Kriterium der Sprache auch die Häftlinge hellhörig machte.

antifa: Wie erging es ihm weiter?

Gisela Lingenberg: Nach Isolationshaft und Abtransport in einem Häftlingstransportwaggon an einen unbekannten Ort musste Wilhelm Betke irgendwo gemeinsam mit anderen Häftlingen antreten. Es wurde abgezählt und Wilhelm sagte später oft: »Vor mir hörte das Abzählen auf«. Was mit den Abgezählten passierte wusste er nicht. Er und andere wurden ins KZ Sachsenhausen zurücktransportiert und zur Geheimhaltung verpflichtet. Bis Anfang 1940 kam er außer in die Dunkelzelle auch in den berüchtigten Tiefbunker, aus dem man ihn stotternd hochziehen musste. Im November 1944 wurde Wilhelm Betke von der SS in das Strafbataillon Dirlewanger gezwungen. An der Front in Ungarn war auf der anderen Seite bei der Roten Armee bekannt geworden, dass hier KZ-Häftlinge vor ihnen stehen. Sie wurden ohne Schusswechsel in Empfang genommen. Da sie die verachtete deutsche Uniform trugen, mussten die Rotarmisten sie vor den eigenen Leuten in Schutz nehmen.

Im September 1945 kam Wilhelm Betke aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Im November 1946 heiratete er meine Mutter und war stolz als am 3. Oktober 1947 sein Sohn geboren wurde. Mein Stiefvater verstarb 1976. Er hat ausführlich über seine Erlebnisse berichtet. Im »Neuen Tag« gab er in einem Interview bekannt: »Ich war nicht dabei in »Gleiwitz«. Ich nehme an, er hat erst von Außenstehenden erfahren, wozu man ihn benutzen wollte.

»Der Führer braucht einen Kriegsgrund!« verkündete Reinhard Heydrich Anfang August 1939 bei einer Inspektion des schlesischen Grenzgebietes zu Polen und veranlasste die Aufstellung von SS-Sondereinheiten in Stärke von ca. 350 Mann für die Durchführung von »Überfällen« angeblich polnischer Einheiten auf deutsche Einrichtungen.

Die SS-Angehörigen, bevorzugt solche, die polnisch sprachen, wurden noch Anfang August 1939 auf dem Gelände der SD-Schule bei Bernau, zusammengezogen, mit polnischen Uniformen und Ausrüstungsgegenständen ausgestattet, nach polnischem Militärreglement ausgebildet und danach unter strengster Geheimhaltung nach Oberschlesien verlegt.

Dort hatten Himmler und Heydrich drei Ziele für die »polnischen Überfälle« ausgewählt, darunter den Sender Gleiwitz.

Die SS-Planung beinhaltete auch, an den »Überfallorten« tote »Polen« zu hinterlassen, wozu 10 bis 15 KZ Häftlinge missbraucht wurden, die im SS-Jargon »Konserven« genannt wurden.

In der Nacht vom 31. August zum 1.September 1939 wurden die »polnischen Überfälle« an mehreren Orten im oberschlesischen Grenzgebiet durch die gebildeten SS-Einheiten durchgeführt, der bekannteste erfolgte auf den Reichssender Gleiwitz.

Hier, wie auch anderswo, blieben von der SS liquidierte KZ- Häftlinge in polnischen Uniformen zurück, die der Öffentlichkeit später als erschossene Polen präsentiert wurden.

Von den so als »Konserven« durch die SS missbrauchten KZ-Häftlingen wurden nur fünf namentlich bekannt: