Korrekt und anarchisch

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Berliner Akademie der Künste präsentiert Werke von Georg
Grosz

März-April 2010

Kurt Tucholsky: »Und ich weiß keinen, der das moderne Gesicht des Machthabenden so bis zum letzten Rotweinäderchen erfasst hat, wie dieser eine. Das Geheimnis: Er lacht nicht nur – er hasst. Das andere Geheimnis: Er zeichnet nicht nur, sondern er zeigt die Figuren – welche patriotischen Hammelbeine! welche Bäuche! – mit ihrem Lebensdunst, ihrer gesamten Lebenssphäre in ihrer Welt. So, wie diese Offiziere, diese Unternehmer, diese uniformierten Nachtwächter der öffentlichen Ordnung in jeder einzelnen Situation bei Grosz aussehen: so sind sie immer, ihr ganzes Leben lang.«

Die Weltbühne, August 1921

Die Ausstellung: »Georg Grosz – Korrekt und anarchisch«, der Akademie der Künste am Pariser Platz ist für Berlin ein Kunstereignis. Erst 1984 sind im Keller des Hauses Savignyplatz 5 in der Wohnung seiner Schwiegereltern versteckt ein bisher unbekanntes Konvolut von Zeichnungen aus den Jugendjahren und 23 Porträtskizzen für die bekannten Bilder des Schriftstellers Max-Herrmann Neisse gefunden worden, die noch nicht ausgestellt worden waren. Dazu 207 Skizzenbücher, collagierte Postkarten, die Grosz nach 1945 seinen Freunden John Heartfield, Paul Westheim und anderen aus Amerika geschickt hat. Viele Briefe an bekannte Künstler sind dort zu sehen. Seine beeindruckenden Arbeiten, die ihn als großen Ankläger des deutschen Monopolkapitalismus und Militarismus und ihrer aggressiven Untriebe zur Vorbereitung des Ersten Weltkrieges bekannt gemacht haben, wurden zusammenhängend so noch nicht gezeigt.

Weil Grosz sich als Soldat im Kriegs- und Revolutionsjahr 1917 Befehlen seiner Vorgesetzten widersetzte, wurde er durch ein Militärgericht verurteilt. Sicherlich wäre der 34-jährige Künstler, voller schöpferischer Pläne in seiner dadaistischen Phase, einer hohen Gefängnisstrafe oder gar einer Exekution nicht entgangen, wenn der Schriftsteller, Museumsdirektor und zeitweilige Botschafter Harry Graf Kessler, der die Begabung von Georg Grosz schon früh erkannt hatte, die große Gefahr nicht gesehen und bei höheren Militärstellen Einspruch erhoben hätte.

Einige Jahre später machte Grosz, der gemeinsam mit seinen Freunden John Heartfield und Wieland Hertzfelde der Kommunistischen Partei beigetreten war, wegen der politischen Wirkung seiner Kunst Bekanntschaft mit der Justiz der Weimarer Republik. Er wurde 1920 wegen seines vermeintlichen Angriffs auf die Reichswehr mit der Mappe »Gott mit uns« und wegen Angriffs auf die öffentliche Moral in der Bildfolge »Ecce homo« 1923 und schließlich 1927 wegen Gotteslästerung in den Arbeiten der Mappe »Hintergrund« zu hohen Geldstrafen verurteilt. Das zeigt schon, wie verhasst Grosz in den 20-er Jahren dem nationalistischen Bürgertum war. Er stellt sich der Klassenauseinandersetzung in der Weimarer Republik und der präfaschistischen Zeit mit seiner Kunst. Er nimmt die Spießerhaftigkeit der deutschen Nachkriegsbourgeoisie, ihrer moralische Verkommenheit und die sozialen Missstände in Deutschland aufs Korn. »Einige verdienen Millionen«, schrieb Grosz 1925 »während abertausende knapp das Existenzminimum haben … ich zeichnete und malte aus Widerspruch und versuchte, durch meine Arbeiten die Welt in ihrer ganzen Heftigkeit, Krankheit und Verlogenheit darzustellen.«

Geradezu wie in einem Kaleidoskop werden Menschengruppen und Straßenszenen von ihm gezeigt. Einblicke in Wohnungen sind zu sehen in denen ganze Sittengeschichten dokumentiert werden. Durch Grosz sind Figuren aufs Papier gekommen, die in der Kunst bis dahin noch nicht zeichenwürdig waren: Kriegskrüppel, Beinamputierte, ein Kriegsblinder an der Drehorgel, dahinter der wohlbeleibte Spießer mit der Zigarre. Im krassen Gegensatz dazu auf der anderen Seite der Straße die Erschießung von Revolutionären durch einen Offizier mit ordenbehängtem Revers. Der Schütze wird von einem weiteren Soldaten geschützt, der an seinem Stahlhelm bereits ein Hakenkreuz trägt.

Grosz führt den deutschen Spießer in einer Bildmappe »Räuber« vor und zitiert Schiller: »Ich will alles um mich ausrotten, was mich einschränkt.« Er zeichnet die Geldgier und die bittere Armut. Er sieht die schwarzen Wolken des Faschismus über Deutschland und sucht am 12. Januar 1932 mit seiner Familie in New York Asyl.

Aus deutschen Museen werden seine Bilder entfernt und sind in der Ausstellung »Entartete Kunst« zu sehen. 1938 wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. In den USA aber war es für ihn nicht einfach. Ihm fehlten die antifaschistischen Gesinnungsgenossen. In Trauer um seinen Freund Erich Mühsam schuf er mehrere grafische Blätter. In Tuschzeichnungen klagt er 1936/37 den spanischen Faschismus an und solidarisiert sich mit den Verteidigern der Republik. 1946 malt er ein ergreifendes Bild: Aus den Trümmern eines Hauses steigt eine abgemagerte Frau als lebendiges Skelett. Der Krieg ist zu Ende. Doch für ihn ist noch kein Hoffnungsstrahl zu sehen. Sah Grosz seinen Kampf gegen Krieg und Faschismus gescheitert? Im Katalog schreibt Klaus Steack: »Nur wenigen Künstlern ist es gelungen, den Kapitalismus samt Militarismus auf so eindrückliche und nachhaltige Weise kenntlich zu machen. Das macht die Arbeiten von Georg Grosz bedrückend aktuell, auch wenn sich die Banker von heute ihren voluminösen Bauch im Fitnessstudio abtrainiert haben und die überdimensionierte Zigarre als Statussymbol weitgehend ausgedient hat.«