L’enfer c’est les autres

geschrieben von Martin Schirdewan

5. September 2013

Ein neuer Sammelband zu »neurechten« Entwicklungen in
Europa

März-April 2013

Die neuen Rechten in Europa. Zwischen Neoliberalismus und Rassismus; Peter Bathke, Anke Hoffstadt (Hg.); PapyRossa Verlag, Köln 2013.

Die Hölle, das sind die anderen. Dieses bekannte Zitat Jean Paul Sartres begegnet dem Leser des Buches bereits in dessen Einleitung durch die Herausgeber. Zur Hölle werden die vermeintlich Anderen dann, wenn der Mensch sich in seinem Gegenüber nicht mehr zu erkennen vermag oder getraut. Wenn der Andere zum Fremden wird. Das ist eine – hier vereinfacht wiedergegebene – Grunderkenntnis der Rechtsextremismusforschung der zurückliegenden Jahrzehnte.

Wie entstehen Xenophobie, Antisemitismus, Antiislamismus, Rassismus und andere rechtsextreme Einstellungen? Wie wandelt sich der Rechtsextremismus angesichts des Wandels der Gesellschaft? Diese Fragen in den Kontext der neoliberalen Postmoderne zu rücken und mit den Wirkweisen des Neoliberalismus zu verknüpfen, das ist das Hauptverdienst des vorliegenden Sammelbandes. Auch wenn die Grundfragen nicht ganz neu sein mögen, entsteht doch der Neuigkeitswert des Buches durch die Vielzahl der Aspekte, die von den mehr als 20 Autorinnen und Autoren in den jeweiligen Beiträgen betrachtet werden. In vier Hauptkapiteln widmen diese sich dem Neoliberalismus als Ausgangspunkt für den heutigen Rechtspopulismus und die extreme Rechte, dem Vormarsch der neuen Rechten in Europa, den ideologischen Dimensionen der neuen Rechten in Europa und schließlich den Alternativen der humanistischen Gesellschaft zum Erstarken der neuen Rechten.

Der Neoliberalismus hat mit seinem erfolgreichen Angriff auf bestehende Sozialstrukturen und dem damit verbundenen Aushöhlen demokratischer Beteiligung zu einer mit Massenprekarisierung verbundenen Individualisierung geführt. Alternativen der Gemeinschaftsbildung und der Solidarität gelang es nicht, sich gegenüber der permanenten neoliberalen Individualisierungsdoktrin zu behaupten. Diese Individualisierungsdoktrin dominiert nicht nur die Arbeitswelt und den Bereich der Ökonomie, sondern fasste Fuß in jedem gesellschaftlichen Teilbereich: Soziales, Bildung, Gesundheit. Resultat ist eine weitgehende Entsolidarisierung der Menschen untereinander. Der Andere wird zur Hölle im alltäglichen Kampf um das eigene menschenwürdige Leben.

An diesem Punkt setzen die äußerst erfolgreichen Ideologen der neuen Rechten an, die Ängste und realen Nöte der Bevölkerung aufgreifend und rassistisch und sozialdarwinistisch aufladend, wie es etwa der FPÖ als Vorreiterin der modernen rechtspopulistischen Bewegung gelungen ist und deren Nachahmer sich in ganz Europa finden, wie in dem Buch anhand von entsprechenden Länderbeispielen (etwa Italien, Niederlande) dargestellt wird.

Der thematisch-inhaltliche Fokus der rechtsextremen Politik verschiebt sich dabei im Sinne der neoliberalen Umgestaltung der Gesellschaft. Zentrale Mobilisierungspunkte sind, wie Christina Kaindl und weitere Autorinnen und Autoren ausführen, der Kampf gegen die Globalisierung, gegen den damit einhergehenden Liberalismus (gegen »die da oben«), gegen die Folgen für den »einfachen Arbeiter«, der von Sozialabbau, also in seiner sozialen Position, bedroht ist. Der Kampf für »gute Arbeit« wird völkisch aufgeladen: Arbeit zuerst für Deutsche, Franzosen, Niederländer, Dänen, Italiener etc. und in einen rassistischen Kontext eingebettet. Vor allem der Antiislamismus hat sich dabei im Zuge des Krieges gegen den Terror als äußerst mobilisierungsfähig erwiesen und wirkt bis in die zentralen gesellschaftlichen Diskurse.

In der Auseinandersetzung mit dem neuen Rechtsextremismus – so die Empfehlung der Autoren im abschließenden Kapitel – sollte unter Berücksichtigung der regionalen Unterschiede eine Doppelstrategie zur Anwendung gebracht werden: Es gilt, sowohl die zerstörerischen Konsequenzen des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft zurückzudrängen und neue solidarische gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu befördern, als auch die unmittelbare demokratische Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten anzunehmen und sie mit allen Mitteln des Rechtsstaates und der Zivilgesellschaft zu bekämpfen.

»Die neuen Rechten in Europa« ist ein gutes und wichtiges Buch, das einen aktuellen Überblick über die Genese des neuen Rechtsextremismus in Europa bietet und dabei zugleich seine Autorinnen und Autoren über den berühmten Tellerrand hinausblicken lässt.

Eine Frage beantwortet das Buch jedoch nur am Rande. Wenn der neoliberale Umbau der europäischen Gesellschaften einen neuen Typus von Rechtsextremismus hervorgebracht hat, welche Auswirkungen hat das auf die Verfasstheit der betroffenen Staaten und Gesellschaften, in denen es den Rechtsextremen tatsächlich gelungen ist, an die Macht zu gelangen? Hier bleibt gerade der (häufig marginale) Blick in Richtung Osteuropa zu schärfen.