Lehren aus Pretzien

geschrieben von P. C. Walther

5. September 2013

Hilf- und Tatenlosigkeit gegenüber Neonazis überwinden

Sept.-Okt. 2006

Auf der Homepage der Kampagne „Keine Stimme den Nazis!“ in Mecklenburg-Vorpommern werden Informationen, Materialien, Kontakte, Tipps, Termine und Hinweise angeboten.

Die Bücherverbrennung im sachsen-anhaltischen Pretzien hat einiges deutlich gemacht: nämlich einen erheblichen Mangel an Kenntnissen deutscher Geschichte, an Praktiken und Denkweisen von Neonazis, an gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und Handlungsbereitschaft und schließlich eine falsch angelegte Antinaziarbeit.

Eine Gruppe von Neonazis sollte in die demokratische Gesellschaft integriert werden. Dazu ließ man sie heimatliche Kulturarbeit machen. Da man sich aber mit den Jungnazis nicht inhaltlich auseinandersetzte, kam es zum umgekehrten Ergebnis: Nicht die Jungnazis wurden demokratisiert, sondern die dörfliche Gesellschaft von den Nazis benutzt und infiltriert, was auch eine gewisse Aufnahmebereitschaft für nazistische Denkweisen zeigt.

Die Unterbelichtung demokratischen Engagements belegt auch die Tatsache, dass mehrere Verfassungsschutzbeamte in dem Ort ansässig sind, sich aber um die Neonazis vor Ort nicht scherten, sondern diese gewähren ließen.

Zumindest mangelnde Geschichtskenntnis beweist der Umstand, dass der Polizei nicht nur das „Tagebuch der Anne Frank“, das hier demonstrativ verbrannt wurde, unbekannt war, sondern auch der faschistische Charakter der Bücherverbrennung.

Beobachter ländlicher Naziaktivitäten bezeichnen die Lage in Pretzien als „typische Mischung aus Wegschauen, Ahnungslosigkeit und Naivität“. Es gebe hunderte solcher Orte, in denen „die gleiche Hilflosigkeit gegenüber Rechtsextremismus“ anzutreffen ist, konstatierte Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner.

Diese Hilflosigkeit, verbunden mit Tatenlosigkeit, ist es, die von den Neonazis genutzt wird. Der Vorfall in Pretzien zeigt deutlich, wie wichtig und notwendig es ist, diese Mängel zu beseitigen.