Linke Heimatgefühle

geschrieben von Conrad Taler

5. September 2013

Erwiderung auf den Artikel »Rechte Heimatgefühle«

Nov.-Dez. 2007

Unter der Überschrift »Rechte Heimatgefühle« berichtet Anne Rieger im »antifa«-Magazin vom September/Oktober 2007 über eine Regionalstudie zum Rechtsextremismus, die sich mit den Ursachen des politischen Verhaltens von Jugendlichen im württembergischen Rems-Murr-Kreis befasst. In dem Beitrag heißt es, den Sozial- und Verhaltensforschern um Professor Josef Held von der Universität Tübingen sei bei ihren Interviews aufgefallen, »dass Jugendliche mit extrem rechten Positionen gut in ihr dörfliches oder kleinstädtisches Milieu integriert sind und einen starken Bezug zur Heimat haben«.

Was sollen wir daraus lernen? Dass Heimatliebe und ländliches Milieu anfällig machen für rechtsextremistische Positionen? Wenn das stimmte, dann wären Jugendliche in städtischen Ballungszentren von vornherein weniger gefährdet. Aber auch dort finden braune Rattenfänger Mitläufer und Nachbeter. Dass »auf dem Land« konservative Denkweisen stärker verbreitet sind als anderswo ist eine Binsenweisheit. Das sollte aber nicht zu Vorurteilen gegenüber dem dörflichen Milieu verleiten, in das gerade seine Kritiker während des Urlaubs nur allzu gern selber eintauchen.

Wer sich in einem ländlichen Umfeld geborgen fühlt, der versinkt doch deswegen nicht in provinziellem Mief. Heimatliebe ist nicht das Vorrecht von Leuten, die sich national nennen, und dabei – wie Thomas Mann sich ausdrückte – nur »Dunst und Dusel, das faule, wehleidige, brutale ›Gemüt‹ im Sinn haben«. Sie ist nicht gleichbedeutend mit Weltabgewandtheit und Feindschaft gegenüber Menschen anderer Sprache oder Hautfarbe. Heimatliebe ist Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach Geborgenheit und Frieden.

Kurt Tucholsky hat sich leidenschaftlich dagegen gewehrt, den Heimatbegriff der politischen Rechten zu überlassen. In einem Aufsatz mit dem schlichten Titel »Heimat« schrieb er 1929: »So wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht nehmen wir, die wir hier geboren sind, Fluss und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese; es ist unser Land. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitsliebende aller Grade, man hat uns mitzudenken, wenn ›Deutschland‹ gedacht wird.«

Viele heimatverbundene Menschen haben über die Naturfreundebewegung den Weg in linke Parteien gefunden und sind den Idealen ihrer Jugend ein Leben lang treu geblieben. Wer die Liebe der Menschen zu Heimat und Natur verächtlich macht, treibt sie in die Arme von Leuten, denen Heimatliebe zu allen Zeiten nur als Vehikel für dumpfen Nationalismus gedient hat. Alte Nazis und rechte Politiker konnten während des Kalten Krieges nur deswegen mit den Gefühlen von Millionen Vertriebenen ungehindert Schindluder treiben, weil andere das Wort Heimatliebe nur mit herabgezogenen Mundwinkeln über die Lippen gebracht haben. Da gibt es einiges aufzuarbeiten. Immerhin belegen zahlreiche literarische Zeugnisse, dass die von den Nazis verjagten Hitlergegner einen starken Bezug zu ihrer Heimat hatten.

So interessant die Ergebnisse der Regionalstudie über den Rechtsextremismus bei Jugendlichen im Rems-Murr-Kreis auch sein mögen, so wenig sollten sie verallgemeinert werden. Vor mehr als fünfzig Jahren wurde ich als Wahlredner in einen kleinen Weinort im Remstal geschickt. Dort bereitete die Dorfjugend dem jungen Redakteur aus Stuttgart einen heißen Abend. Als der letzte Zug nach Stuttgart weg war und ich keine Bleibe hatte, lud mich mein schärfster Kritiker ein, bei ihm und seiner jungen Familie zu übernachten.