Marxhaus, Engelshaus, Thälmannhaus

geschrieben von Dr. Seltsam

5. September 2013

oder: der Kommunismus im deutschen Museum

Jan.-Feb. 2007

Wenn man circa vier Wochen vorher anruft, arrangiert die Thälmann-Crew eine Tagesfahrt „Linkes Hamburg“ mit Hafen, Bredelgesellschaft und Genossenkneipe in Eimsbüttel. Telefon 040-47 41 84. Und wer etwas Geld hat oder demnächst sein Testament macht, sollte an Thälmann denken. Wir brauchen ihn.

Im Weihnachtstrubel hatten wir ein schönes Vorhaben. Im Auftrag der Jungen Welt fuhren wir zu dritt anderthalb tausend Kilometer durch Deutschland und besuchten die Gedenkstätten für die Führer des Kommunismus: das Thälmannhaus in Hamburg, das Engelshaus in Wuppertal und das Marxhaus in Trier. Hier einige subjektive Eindrücke.

Interessant ist zunächst die unterschiedliche Trägerform der Häuser. Das Thälmannhaus gehört einem privaten Förderverein, DKP- nah, aber nicht in Parteibesitz und ständig in Geldnot; das Engelshaus ist als städtisches Museum mit einem überaus eindrucksvollen Museum für Frühindustrialisierung verbunden, hat 18 Planstellen und ist als Feierkneipe der Bürgermeister eng ins Stadtleben integriert; „Karl Marx gehört der SPD“ – so sieht man das in Trier. Seine Geburtsstätte, in fußläufiger Nähe zur Friedrich-Ebert-Stiftung – aber in Trier ist alles fußläufig – macht von allen drei Museen den chicsten Eindruck, der Fanshop hat einiges zu bieten. Doch in der Ausstellung wird Marx leider wie eine schlechte Soße behandelt: Verlängert und entschärft.

Hein Pfohlmann ist Vorsitzender des gemeinnützigen Fördervereins des Ernst- Thälmann-Hauses in Hamburg und muss jeden Monat ein Geldloch von über 500 Euro füllen, um den Laden zu erhalten. Seine Domäne ist das umfangreiche Archiv der Gedenkstätte: Seit die Hamburger SPD ihr ganzes Früh-Archiv (und damit ihre proletarische Tradition) abgegeben hat, verfügen Thälmanns über die umfangreichste Materialien-Sammlung zur Hamburger Arbeiterbewegung und werden von Studenten und Historikern gut besucht. Ein ziemlicher Skandal, dass die reichste Stadt Deutschlands diese wertvolle Forschungsstelle nicht angemessen finanzieren kann. Gleichzeitig benutzt sie aber die Erinnerung an die „drei berühmten Eppendorfer: Wolfgang Borchert, Ernst Thälmann und Uwe Seeler“ für ihre Imagewerbung. Insgesamt ein peinliches Bild, dass diese Stadt, das imperialistische „Tor zur Welt“, für die Hafenarbeiter und Seeleute, die sie groß und berühmt gemacht haben, heute kein Geld übrig hat, keine Verwendung mehr und keine Erinnerung.

Vorsitzender der Gedenkstätte ist Uwe Scheer. Er trägt eine veritable Schifferfräse ums Kinn, war aber kein Seemann, sondern Zollbeamter. Als DKP-Wahlkandidat hatte er elf Jahre Berufsverbot und musste mit der gekürzten Besoldung auskommen, wurde schließlich wieder eingestellt und erhielt zur Pensionierung ein Dankschreiben des Finanzministers für 45 Jahre treue Dienste für den deutschen Staat. Immerhin ein gewisser Unterschied zum Hitler-Faschismus, der über 1800 Hamburger Kommunisten das Leben kostete. Einige sagen, das sei nur ein gradueller Unterschied. Nun ja, für Uwe Scheer persönlich ist dieser „kleine“ Unterschied von erheblicher Bedeutung. Für den ganzen Komplex von Berufsverbot bis Schikanen gegen die Gedenkstätte fand er den weisen Satz: Der Kalte Krieg ist nicht zu Ende!

Um ins Engelshaus in Wuppertal zu gelangen, muss man durch einen kleinen Park, vorbei an dem Geburtshaus von Engels` Onkel, in dem heutzutage eine Unternehmensberatung logiert und vor dem Wuppertaler Penner Mülleimer durchstöbern. Sehr dialektisch. 8 Euro (Schulklassen frei) kostet eine Eintrittskarte in das Museum für Frühindustrielle Entwicklung und die lohnen sich. Eine Aufgabe des Museums kann ja sein, der Frage nachzugehen: Wie wird so einer wie Friedrich Engels Revolutionär? Ein Barmer Bürgersöhnchen, der von der Schinderei und Kinderarbeit an den Spinnmaschinen und Webstühlen im eigenen Hinterhof erhalten wird. Die ausgestellten Maschinen aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert werden täglich geölt, vom Museumshandwerker intakt gehalten und von Frau Jablonski live vorgeführt. Sie stammt aus der „Ehemaligen“, wie sie die DDR nennt, hat dort, wie viele emanzipierte Frauen, zwei Ausbildungen erhalten, war nach der Wende Haustechnikerin am Rathaus Wuppertal und ist jetzt eine kongeniale Erklärerin der Wirkmaschinen und damit viel mehr als eine Museumsaufseherin. Eigentlich müsste sie in dieser Funktion mindestens ein Lehrergehalt beziehen, ihre Vorführungen sind so instruktiv, dass einem ein Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt.

Erstaunlich für ein bürgerliches Museum ist die Tatsache, dass das obere Stockwerk ganz der Kinderarbeit heute gewidmet ist. Man sieht Filme mit gähnenden Arbeitsmädchen aus Indien, die uns wohlbekannte T-Shirts sortieren und einen halbfertigen Fußball, der von asiatischen Kinderhänden zusammengenäht wird. Sehr, sehr klein steht irgendwo auch der Hinweis, dass es unter anderem. die Arbeiten von Marx und Engels waren, die die Kinder in dem „deutschen Manchester“ aus dieser Hölle erlöst haben.

Zusammen mit einer langen Schwebebahnfahrt durch Wuppertal und dem Besuch bei der Linkspartei, die Plakate geklebt hat, auf denen steht, dass hier ein Viertel der Einwohnerschaft von Hartz 4 vegetieren muss, ein empfehlenswerter Ausflug. Er scheint geeignet, auch ganz harmlose Gemüter binnen Tagesfrist zu wütenden Kommunisten zu machen.