Nach Dresden ist davor

geschrieben von Klaus Bartl

5. September 2013

Politische und justizielle Nach- und Vorbereitungen

Mai-Juni 2011

In einem weiteren Antrag fordern wir die Aufklärung des polizeilichen und justiziellen Vorgehens im Umfeld der Proteste gegen die Neonazisaufmärsche an diesem Tag. Ein besonderer Schwerpunkt dabei die bundesweit auf Empörung gestoßene Großrazzia, die etwa 120 Polizeibeamte eines Sondereinsatzkommandos des LKA Sachsen in den Abendstunden des 19. Februar, da die Nazis und die Gegendemonstranten längst auf dem Heimweg waren, im »Haus der Begegnung«, wo u. a. das Büro der Dresdner Linkspartei gelegen ist, veranstalteten. Dies auf der Grundlage einer höchst fragwürdigen, vom Ermittlungsrichter mündlich erlassenen Durchsuchungsanordnung, die zudem auf einem mysteriösen Ermittlungsverfahren wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung« mit einem Aktenzeichen aus dem Jahre 2010 beruhte und ein ganz anderes Gebäude betraf.

Klaus Bartl ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Rechtspolitischer Sprecher und stv. Landesvorsitzender

Ähnlich wie Wunsiedel hat Dresden einen exemplarischen Stellenwert in der Auseinandersetzung um die Frage, ob es hinzunehmende Normalität sein soll, dass Neonazis unbehelligt und geschützt von Tausenden eigens hierzu aus der ganzen Republik zusammengezogenen Polizeibeamten im Allgemeinen und an solchen Tagen historischen Gedenkens im Besonderen, durch beste Stadtkernlagen marschieren dürfen.

Das Dresdner Verwaltungsgericht bejaht dies offensichtlich. Es hat in einem erst kurz vor den diesjährigen neuerlichen Neonaziaufmärschen verkündeten Urteil nach mündlicher Verhandlung am 19. Januar 2011 der Polizeidirektion Dresden vorgeworfen, es rechtswidrig unterlassen zu haben, durch Einsatz geeigneter polizeilicher Mittel den Aufzug der Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) am 13.02.2010 zu gewährleisten. Dabei argumentiert das Verwaltungsgericht Dresden unter seltsamer Auslegung des Rechtes auf Gegendemonstration, die Polizei habe es unterlassen, das verfügte Trennungsgebot großflächig abzusichern. Selbst der von der CDU gestellte sächsische Innenminister Ulbig kontert darauf mit der Erklärung, dass die vom Verwaltungsgericht verfügte »strikte Trennung der politischen Lager mit der Elbe als Grenze« sich »in der Praxis … als kaum geeignet erwiesen habe.«

Der Grundsatz eines »Trennungsgebot« findet sich in keinem Paragrafen des sächsischen Versammlungsgesetzes und auch nicht im Stichwortverzeichnis aller maßgeblichen einschlägigen Kommentare zum Versammlungsrecht. Das Recht auf friedliche Gegendemonstration in Sicht- und Hörweite allerdings sehr wohl.

Zweifellos war dieses Urteil Wasser auf die Mühlen der sich europaweit auf Dresden als Aufmarschort orientierenden Neonazis. Es war aber offenkundig nicht weniger Impuls und Motivation für noch mehr Dresdnerinnen und Dresdner sowie aus der ganzen Bundesrepublik angereiste Unterstützerinnen sich den Nazis in verschiedenen Formen des friedlichen Protestes entgegenzustellen. Circa 17.000 Antifaschistinnen und Antifaschisten haben am 19. Februar 2011 den genehmigten Aufmarsch der JLO verhindert. Zwei weitere gerichtlich genehmigte Standdemos von Vertretern der extremen Rechten liefen in der Nähe des Dresdner Hauptbahnhofes unter kläglicher Beteiligung ab.

Das an den verwaltungsgerichtlichen Vorgaben orientierte Einsatzkonzept der Polizei, das ein rigoroses Abschotten von Gegendemonstranten vorsah, scheiterte. Obwohl die meisten der von der Polizei gezählten 169 Busse, mit denen auswärtige Gegendemonstranten anreisten, am Stadtrand angehalten wurden und obwohl an einigen Einsatzorten, durch Videos im Internet und Zeugenberichte dokumentiert, teilweise massiv und ohne Vorwarnung unter Einsetzung von Pfefferspray und Wasserwerfern gegen gewaltfreie Gegendemonstranten vorgegangen wurde, hielten diese stand und behaupteten sich in ihrer Präsenz. Nach meinem Eindruck hat auch frühzeitig die Polizei dies als unabänderliche Tatsache hingenommen. Bedauerlicherweise kam es an einigen Stellen im Bereich des Hauptbahnhofes zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, deren Ursachen und Handlungshintergrund derzeit auch im Landtag hinterfragt werden.

Gleich mehrere Anträge zum 19. Februar sind derzeit im Geschäftsgang, auch einer, der die Umstände der Zulassung des Neonazisaufmarsches in Bezug auf den hochbeachtlichen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 4. November 2009, dem sogenannten Wunsiedel-Urteil, beleuchten soll.

Der Staatsminister des Innern berichtete inzwischen im Landtag, dass er eine Sonderkommission »19/2« eingesetzt habe, die begangene Straftaten untersuche. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung Mitte März 2011 waren 203 Strafverfahren eingeleitet und die übergroße Mehrheit noch in Bearbeitung. Gegen wen sie laufen, so auch die in 34 Fällen wegen Verstoßes gegen das Sächsische Versammlungsgesetz, ist noch unbekannt. Gemutmaßt wird, dass davon auch zahlreiche Mitglieder des Bundestages und des Sächsischen Landtages aus der Linken, der SPD sowie von Bündnis 90/Die Grünen, die im Bereich Reichenbachstraße-Fritz-Löffler-Straße an einer Sitzblockade teilnahmen, betroffen sind.

Indes hat der Sächsische Innenminister Markus Ulbig, dem durchaus eine differenzierte Herangehensweise an die Aufarbeitung des 13. und 19. Februar 2011 bescheinigt werden muss, für den 20. Mai zu einem Symposium zum aktuellen Versammlungsrecht eingeladen. Einen besonderen Reiz bekommt dieses Symposium, aber auch alle laufenden Ermittlungsverfahren, durch den Umstand, dass der Sächsische Verfassungsgerichtshof am 19. April 2011 auf eine Normenkontrollklage der demokratischen Oppositionsfraktionen im Sächsischen Landtag hin entschied, dass das Ende Januar 2010 als »lex Dresden« verabschiedete Sächsische Versammlungsgesetz verfassungswidrig zustande gekommen und in Bausch und Bogen nichtig ist. Es bildete aber die Grundlage für alle Bescheide und Strafverfolgungsmaßnahmen wegen vermeintlichen Verstoßes gegen das Selbige.