Noch einmal Lichtenhagen

geschrieben von Hannelore Rabe

5. September 2013

Nov.-Dez. 2012

Die Beiträge über »20 Jahre Lichtenhagen« in der antifa spiegeln die Atmosphäre an diesen Tagen lebendig und überzeugend wieder. Auch im Vorfeld gab es viele Veröffentlichungen und Artikel. Es kommt jedoch immer wieder vor, dass einer vom anderen abschreibt. Dabei besteht die Gefahr, dass der Leser »drüber weg liest«, weil er das alles fast wörtlich schon Hunderte mal gehört hat. Urteile und Meinungen werden ungerechtfertigt verallgemeinert und verfestigt. »Die Bewohner von Lichtenhagen solidarisierten sich mit den Nazis« heißt es im Artikel von Janka Kluge.

Mein Büro lag gegenüber des Sonnenblumenhauses. Ich erlebte also tagelang die unterschiedlichsten Reaktionen der Anwohner. Es brauchte eine ganze Seite, um hier alles aufzuschreiben, was sich diesbezüglich tatsächlich abspielte. Hier nur zwei Beispiele:

Seit die Flüchtlinge vor den Eingängen campierten, war es für viele Lichtenhägener selbstverständlich, nach ihrem Einkauf im dortigen Supermarkt eine Kleinigkeit im Einkaufswagen liegen zu lassen. Die Kinder boten sich an, den Kunden beim Verlassen des Marktes die Einkaufswagen wieder zurückzubringen. Selbstverständlich ließen sich die Leute das Geldstück nicht wiedergeben. Ich lernte Bewohner kennen, die Roma-Müttern mit kleinen Kindern anboten, sich in ihrer Wohnung zu waschen, die Kleidung, Bettwäsche, Matratzen u.a. wichtige Dinge zu den Flüchtlingen brachten.

Ich war beim Friseur an der Ecke. Kunden und Angestellte schimpften auf die Zustände, auf die Dreckschweine und auf die Verantwortlichen, die so etwas zuließen. Kundinnen berichteten von mehreren Eingaben an den Oberbürgermeister, die Stadtvertreter. Die Friseuse hatte mir das Haar gewaschen und wetterte ganz unverschämt gegen »die verlauste stinkige Bande, die uns Deutsche mit ihrem Dreck beleidigen«. Ich stand auf, nahm das Handtuch ab und ging zur Tür. Fünf der wartenden Kundinnen verließen ebenfalls den Salon. »Von einer solchen Deutschen lassen wir uns nicht bedienen«. Das zum Thema »Solidarisieren«.