Oświęcim ist nicht Auschwitz

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Eindrücke von einer Gedenkstättenfahrt

Nov.-Dez. 2010

Im August führte die Bundesvereinigung eine Fahrt zur Gedenkstätte Auschwitz und nach Krakau durch. Seit 2005 geschieht dies einmal jährlich. Besucht wurden bislang außerdem die Gedenkstätten Treblinka, Bełżec, Majdanek, Theresienstadt und u.a. die Städte Prag, Lwiw, Warschau, Lublin und Rzeszów. Die inhaltliche Vorbereitung erfolgte zusammen mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Außer den historischen Aspekten wurden jeweils auch Themen der polnischen und tschechischen Gegenwart behandelt. Die nächste Fahrt wird im Sommer 2011 in die Gedenkstätte Stutthof und nach Gdansk führen.

»Fährt dieser Zug nach Auschwitz?« Es ist erstaunlich wie viel Missverstehen, wie viele Missverständnisse und wie viel Spannung in so einer einfachen Frage stecken können. Sie wurde uns, den Teilnehmern der Gedenkstättenfahrt der Bundesvereinigung der VVN-BdA, von einer anderen deutschen Reisegruppe an einem polnischen Provinzbahnhof gestellt, die in die nette kleine polnische Stadt mit dem Namen Oświęcim (sprich »Oswientschim«) fahren wollte. Oder wollten sie doch eher zum »Museum Auschwitz-Birkenau«, das auf dem Gelände der ehemaligen deutschen KZs Auschwitz I und II eingerichtet wurde, das wiederum am Rande eben dieser polnischen Kleinstadt liegt?

Man weiß in Deutschland, aber auch in anderen Ländern im allgemeinen nicht, dass Oświęcim, abgesehen von der österreichischen Zeit, nur unter den Nazis »Auschwitz« hieß und heute schon gar nicht. Oświęcims Geschichte, insbesondere die seines großen jüdischen Bevölkerungsanteils, beschäftigt nur wenige der Zigtausenden, die in die Gedenkstätte strömen. Selbst im Namen der Einrichtung, die sich eben dieser Geschichte widmet, ist das Missverständnis eingebaut. Es ist das US-amerikanisch finanzierte »Auschwitz Jewish Center« mit der restaurierten Synagoge als Zentrum. Wer in die Gedenkstätte des »Stammlagers« kommt, hat zunächst weniger mit dem authentischen Ort als hauptsächlich mit den anderen Besuchern, insbesondere ihren Ellenbogen, zu tun. An besucherstarken Tagen kann von einem »Auf-sich-wirken-lassen« des Ortes nicht die Rede sein. Der surreale Effekt wird durch die neuerdings für Führungen verpflichtend eingeführten Kopfhörersysteme verstärkt. Der Besucher wird auf Radioempfang gestellt. Die Alternative wären allerdings Lärm und das Stimmenchaos von früher.

Eine weitere Problematik entsteht durch die schiere Größe der Doppel-Gedenkstätte. Auch bei der »großen« Führung, die sich über zwei halbe Tage erstreckt, gewinnt man bestenfalls einen Überblick über die Topographie und Einblicke in einige wenige Teilausstellungen. Es stellt sich daher die Frage, welchen Sinn die üblichen noch kürzeren Rundgänge machen. Der Besuch einer Gedenkstätte erbringt schließlich nicht automatisch positive Ergebnisse. Der Erfolg hängt in hohem Maße von Vorbereitung und Durchführung z.B. einer Jugendbildungsmaßnahme ab. Völlig zu Recht setzt die »Internationale Jugendbegnungsstätte« von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste auf das persönliche Kennenlernen und die gemeinsame Tätigkeit von Jugendlichen aus verschiedenen Ländern, um z.B. nationale Vorurteile abzubauen.

Der Umgang mit dem authentischen Ort im Stammlager, weniger in Birkenau, ist nicht unproblematisch. Die ehemaligen Kasernengebäude werden für die zahlreichen, jeweils einem Thema/einer Nation gewidmeten Ausstellungen verwendet und dafür teilweise auch baulich verändert. Die Ausstellungen, verantwortet von den jeweiligen Staaten, sind völlig unterschiedliche, nicht immer gelungene Produkte. Letzteres gilt leider für die »jüdische« Ausstellung, die schwer verständlich ist und noch die Optik vergangener Jahrzehnte hat.

Die ganz neue in Zusammenhang mit dem Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg erstellte Ausstellung stellte sich hingegen als Glanzstück der Museumsdidaktik heraus.

Ein wichtiger Teil des Gedenkstättenfundus ist öffentlich gar nicht zugänglich. Es war eine Besonderheit, dass wir die Kunstausstellung sehen konnten, die aber auch nicht mehr als wenige Dutzend der 6.000 Zeichnungen, Gemälde, Drucke und Plastiken zeigt, über die die Gedenkstätte verfügt.

Ambivalent waren auch die Erfahrungen und Erlebnisse mit der polnischen Geschichtspolitik. So führten wir einerseits viele Gespräche mit äußerst kompetenten Mitarbeitern der Gedenkstätte, polnischen und israelischen Künstlern, der polnischen antifaschistischen Organisation »Nie wieder« oder der »Polnisch-Deutschen Gesellschaft für seelische Gesundheit« sowie Universitätsangehörigen, die aufgeschlossene Positionen vertraten.

Andererseits besichtigten wir auf dem Marktplatz Oświęcims auch eine Ausstellung des mit der Birthler-Behörde vergleichbaren staatlichen polnischen Geschichtsinstituts, in dem in Polnisch, Englisch und Deutsch folgender unfassbare Satz zu finden ist: »Das kommunistische Gefängnis war das weitaus schlimmere als Auschwitz.«