Plädoyer für Bündnisbreite

geschrieben von Peter C. Walther

5. September 2013

»Antifaschismus muss nicht antikapitalistisch sein«

Mai-Juni 2008

Peter Christian Walther ist Mitglied der antifa-Redaktion. Er vertritt den Landesverband Hessen im Bundesausschuss der VVN-BdA

Die Zusammenhänge von Faschismus und Kapitalismus sind nicht zu bestreiten. Auch nicht-linke Betrachter der Geschichte des Hitlerfaschismus werden nicht in Abrede stellen können, dass nicht unwesentliche Teile des Kapitals Hitlers Bewegung gefördert haben in der Absicht, sie als Waffe gegen die verhasste demokratische Republik und vor allem gegen alles Linke einzusetzen und zu nutzen.

Allerdings waren diese kapitalstarken Förderer des Faschismus nicht dessen einzige Quelle und auch nicht die einzige Ursache der faschistischen Machtübernahme und des folgenden Terrorregimes. Dazu zählen auch noch andere Teile und Ideologien wie auch Versäumnisse der Gesellschaft. Faschismus hat mehrere Quellen und Ursachen als nur eine besondere Herrschaftsform des Kapitalismus (von dem es bekanntlich ebenfalls unterschiedliche Ausprägungen gibt).

Faschismus ist niemals nur eine andere Herrschaftsform des Kapitals. Vor allem aber gibt es weder einen Automatismus, etwa nach der simplen Vorlage: Kapitalismus führt immer zum Faschismus, noch eine zwanghafte, unvermeidbare Entwicklung dorthin. Wäre das so, müsste jede kapitalistische Gesellschaft zum Faschismus führen. Die Existenz einer ganzen Reihe nicht-faschistischer kapitalistischer Staaten beweist, dass das so nicht der Fall ist. Ergo müssen wir nicht erst den Kapitalismus beseitigen, um den Faschismus zu verhindern.

Um Faschismus, in welcher Form auch immer, und mögliche Entwicklungen zum Faschismus zu verhindern, brauchen wir vor allem breiteste Bündnisse vom Arbeiter bis zum Unternehmer, vom Atheisten bis zum Christen, vom Sozialdemokraten und Kommunisten bis zum Christ- und Liberaldemokraten, vom Sportverein bis zur Kirchengemeinde usw. Bündnisse, die fähig und entschlossen sind, keinen Faschismus aufkommen zu lassen. Eine wesentliche Lehre aus der Nichtverhinderung des Hitlerfaschismus ist die Erfahrung, dass es am rechtzeitigen gemeinsamen Kampf aller nichtfaschistischen Kräfte gefehlt hat. Im übrigen gehörten auch Kapitalisten und Kapitalismus-Anhänger zu den Gegnern und Opfern des Faschismus. Das mindert in keiner Weise die eingangs getroffene Feststellung, dass Kräfte des Kapitals zu den wesentlichen Förderern, Trägern und Nutznießern des Hitlerfaschismus gehört haben. Und natürlich war das Wirtschaftssystem im Faschismus ein kapitalistisches. Nur auch das bedeutet keinen Automatismus und begründet keine Verabsolutierung.

Die VVN betont mit Recht, dass sie selbst ein Bündnis von Antifaschisten ist, in dem es mehrere antifaschistische Auffassungen gibt, dass aber keine von ihnen dominieren darf. Das ist die Voraussetzung für eine breite Bündnisfähigkeit, die weit über die eigene Organisation hinausgeht.

Deshalb ist die VVN auch keine antikapitalistische oder sozialistische Organisation, obwohl selbstverständlich Sozialisten und Antikapitalisten zu ihren Mitgliedern gehören. Genauso wie andere, die eine kapitalistische Gesellschaft nicht grundsätzlich ablehnen, sie möglicherweise sogar gut finden. Schließlich gibt ja auch noch andere Ausprägungen als den zur Zeit vorherrschenden Raubtierkapitalismus, der mit seinen antidemokratischen Strukturen und Praktiken durchaus ein Wegbereiter autoritärer faschistoider Entwicklungen werden könnte (wenn er nicht schon auf dem Weg dahin ist). Dem tritt die VVN-BdA deshalb auch entschieden entgegen.

Ich wende mich also gegen jede Verabsolutierung. Antifaschistisches Handeln muss nicht antikapitalistisch sein. Es muss demokratisch und humanistisch sein; und es sollte vielfältig, tolerant gegenüber anderen Auffassungen und immer bündnisfähig sein.

Es gibt unterschiedliche Zugänge zum Antifaschismus: allgemein demokratische, humanistische, christliche, sozialistische, liberale, auch antikapitalistische. Sie alle müssen Raum haben in unserer Organisation. Nur darf eine einzelne Position andere nicht ausschließen. Antifaschistische Einheit besteht aus nicht-faschistischer Vielfalt. Antifaschismus soll und muss so breitgefächert und pluralistisch sein, so wie es auch der Widerstand gegen den Hitlerfaschismus war.