Pontifex und Partisan

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Probst Heinrich Grüber – Mitbegründer der Berliner VVN

Jan.-Feb. 2008

Einer der Initiatoren für die Gründung der VVN in Berlin war Heinrich Grüber. Er wurde 1892 in Sollberg im Rheinland geboren und studierte in Bonn, Berlin und Utrecht Theologie und Pädagogik. Für seine theologische Entwicklung war die zwangsweise Unterbrechung des Studiums für den Militärdienst von 1915 bis 1918 entscheidend. Die Frage, wozu und zu welchem Zwecke Kriege ge-plant und geführt werden, blieb für ihn in Predigten und theologischen Auseinandersetzungen ebenso präsent, wie in seinem politischen Denken. Von daher war seine Entscheidung, bald nach seiner Ordination zum Pfarrer in den diakonisch erzieherischen Dienst der evangelischen Kirche zu treten davon bestimmt, Veränderung von Menschen durch politisch-soziale Aufklärung zu bewirken.

Aus seiner kritischen Haltung zur NSDAP, die der Weimarer Republik den Kampf angesagt hatte, macht er kein Hehl. So erklärte er auch die Machtübertragung auf Hitler zu einem »Unglück für Deutschland«. Öffentliches Aufsehen erregte er sowohl bei seinen Mitarbeitern als auch bei der Kirche und natürlich auch bei den Nazis, als er als Direktor des Erziehungsheimes Waldhof/Templin am 21. März, dem »Tag von Potsdam«, niemandem Urlaub gab, um an der »Weihe des 3. Reiches« durch die Kirche teilzunehmen. Grüber erklärte diese Veranstaltung »als großen Volksbetrug« und empfand es als Skandal, dass die Kirche dem auch noch ihren Segen erteilte. Am 1. August 1933 wurde er deshalb aus dem Dienst der Kirche entlassen.

Durch seine reformierte Tradition war er an der hebräischen Bibel geschult und stand für die damalige Zeit der so genannten »Judenfrage« sehr aufgeschlossen gegenüber. Nach seiner Meinung wären der Boykott jüdischer Geschäfte und das Berufsverbot für »nichtarische« Beamte, die Nürnberger Rassegesetze und die »Reichskristallnacht« Herausforderungen für das Bekenntnis der Kirche zu Jesus von Nazareth, den Juden, gewesen. Die Bekennende Kirche, der er leitend angehörte, beauftragte ihn mit dem Aufbau eines Büros für »nichtarische Christen«. Er besorgte Ausweispapiere für »Getaufte«, um ihnen die Ausreise in die Schweiz, nach England und Schweden zu ermöglichen. Diesen Abschnitt seines Lebens nannte er »Arbeit als Pontifex und als Partisan«. Gespräche mit den »Feinden«, zum Beispiel mit Eichmann, gehörten zu seinem gefährlichen Alltag.

Kurz vor Weihnachten 1940 ließ ihn Heydrich verhaften. Am 21. Dezember kam er mit der Häftlingsnummer 27832 über Sachsenhausen nach Dachau zu den »Frommen in der Hölle«, in den so genannten »Pfaffenblock«. Dort wurde er bald bekannt für sein Interesse und seine solidarische Haltung zu den Kommunisten. Grüber bedauert in seiner Autobiografie, die Kommunisten nicht schon vorher kennengelernt zu haben, denn: »Was wäre das für ein Bündnis gegen die Nazis gewesen!«

Heinrich Grüber hatte Glück. Durch den Einfluss seines Schwagers, eines Großindustriellen, wurde er im März 1943 entlassen. Er nahm Kontakt zu Offizieren, wie z. B. Oberst Wilhelm Stähle, zu Ewald Kleist-Schwenzin und der Familie Dietrich Bonhoeffers auf. Heinrich Grüber, der sogar eine Pfarrstelle in Kaulsdorf erhielt, wurde der »Mann der letzten Stunde« für die Bekennende Kirche. Und damit auch deren »Mann der ersten Stunde« nach der Befreiung. Sofort begann er, Kameradinnen und Kameraden aus dem Widerstand zu sammeln, für ihn gehörten die Juden mit dazu. Darum kämpfte er mit seinen »sehr verehrten Genossen Kommunisten«, die die jüdischen Überlebenden vor allem als Opfer ansahen. Bündnispartner in seinem Bemühen, einen OdF-Ausschuss in Berlin für alle zu gründen, waren General Bersarin, Heinz Galinski und Ottomar Geschke. Mit diesem gemeinsam wurde Grüber erster Vorsitzender der VVN in der sowjetischen Besatzungszone.

Bedauerlicherweise sprengten die Konfrontationen des kalten Krieges dieses breite Bündnis bald. Heinrich Grüber bereute seine Mitarbeit in der VVN trotzdem nicht. Für ihn war sie Ausdruck der in den Lagern erlebten Kameradschaft.