Rassistische Hierarchien

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Ausstellung zur Zwangsarbeit im Berliner Jüdischen Museum

Nov.-Dez. 2010

Mehr als 20 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa wurden in das faschistische Deutschland verschleppt oder in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten zur Zwangsarbeit gezwungen. Darüber berichtet eine Ausstellung, die von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« initiiert und gefördert und von der »Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Dora« kuratiert wurde. Die Programmdirektorin des Jüdischen Museums, Cilly Kugelmann, nennt sie die wichtigste Ausstellung nach der Wehrmachtsausstellung. Zu Recht, denn sie richtet den Blick auf ein lang verschwiegenes Verbrechen, das vor aller Augen stattfand.

Während viele Deutsche nach dem Krieg von den KZ nichts gehört haben wollten, war die Zwangsarbeit eine unbestreitbare, für jeden sichtbare Erfahrung. Dabei kamen mehr als 2,7 Millionen Zwangsarbeiter ums Leben. Die anderen mussten nicht selten mit der Erkenntnis leben, durch die Zwangsarbeit ihr eigenes Schicksal als Arbeitssklaven der Nazis weiter verlängert zu haben. Im zerstörten Minsk etwa unterhielt Daimler-Benz einen Reparaturbetrieb und im Flugzeugmotorenwerk München Allach waren gegen Kriegsende neunzig Prozent der Beschäftigten ausländische Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge.

Die Zwangsarbeiter selbst unterlagen einer perfiden rassistischen Hierarchie, macht die Ausstellung deutlich. Entsprechend der Rassentheorie der Nazis standen Zwangsarbeiter aus Westeuropa oben in deren Rassen-Hierarchie. Ganz unten rangierten die »slawischen Untermenschen« Russen, Polen und Ukrainer. Sie mussten bei kleinsten Vergehen mit drakonischen Strafen rechnen. Die Ausstellung zeigt die Hinrichtung eines Zwangsarbeiters in Bayern, die vor allem der Abschreckung diente. Nicht arbeitsfähige Kriegsgefangene hätten zu verhungern, wird Generalquartiermeister Eduard Wagner 1941 zitiert. Noch tiefer als die Slawen rangierten im rassistischen Weltbild der Nazis Juden, Sinti und Roma. Deren Zwangsarbeit war meist nur eine Station auf dem Weg ihrer bereits staatlich beschlossenen Vernichtung.

Die Ausstellung präsentiert eine überraschende Zahl von Fotodokumenten, die in ihren historischen Kontext eingebettet werden und zugleich die Würde der Opfer wahren. Besondere Aufmerksamkeit legen die Ausstellungsmacher auf die Beziehung der Deutschen zu den Zwangsarbeitern. Sie zeigen, dass man sich als Deutscher entscheiden musste, wie man den Zwangsarbeitern entgegentrat: mit der Unerbittlichkeit und Kälte einer rassistisch motivierten Ideologie oder mit einem Rest an Mitmenschlichkeit. Wie wenig von diesem Handlungsspielraum Gebrauch gemacht wurde, war zugleich ein Indiz für die Wirkungsmacht der NS-Ideologie.

In der Ausstellung wird deutlich, dass Zwangsarbeit keine bloße Begleiterscheinung des NS- Regimes, sondern ein Gesellschaftsverbrechen war. In 60 Fallgeschichten – von der entwürdigenden Arbeit politisch Verfolgter in Chemnitz bis zur mörderischen Sklavenarbeit von Juden im besetzten Polen – wird das persönliche Schicksal der Opfer dem Betrachter emotional nahe gebracht. In den Jahren 2000 bis 2007 hat die Zwangsarbeiter-Stiftung insgesamt 1,7 der 20 Millionen ehemaligen Zwangsarbeiter entschädigt, wobei sowjetische und italienische Kriegsgefangene leer ausgingen. Zu den Stärken der Ausstellung gehört, dass sie den mühsamen Streit um die Anerkennung der Zwangsarbeit als Verbrechen und um die Entschädigung der Zwangsarbeiter überhaupt zum Thema macht. Allerdings bleibt dabei der jahrzehntelange Kampf der Zwangsarbeiter und der VVN-BdA um deren Anerkennung als Opfer des Faschismus unterbelichtet. Einem polnischen Zwangsarbeiter hatte das Oberlandesgericht München 1959 noch bescheinigt, dass die »Heranziehung zur Arbeit« auch außerhalb der Heimat »noch kein Eingriff in die Sphäre der der Menschenwürde zugrundeliegenden Persönlichkeitsrechte« sei. Auch daran erinnert die Ausstellung, die, als Wanderausstellung konzipiert, hoffentlich auch noch an anderen Orten zu sehen sein wird.