Rot schlimmer als Braun?

geschrieben von Eberhard Schultz

5. September 2013

Der schwarz-gelbe Kampf gegen den »Extremismus« ist
eröffnet

März-April 2010

Eberhard Schultz, Rechtsanwalt im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte, früher Bremen, Autor und Referent zu Themen des ›Antiterrorismus‹

www.menschenrechtsanwalt.de

Wer den unsäglichen Versuch vieler bundesdeutscher Politiker, aus Anlass des Jahrestages des Mauerfalls, den »DDR-Unrechtsstaat« mit dem faschistischen NS-Regime auf eine Stufe zu stellen, für eine vorübergehende Erscheinung des politischen Sonntags-Geschäfts hielt, sollte sich eines Besseren belehren lassen.

Auch Juristen sind manchmal erfinderisch, wie der Umgang mit dem Aufruf des breiten Bündnisses zum 13.2.2010 »Dresden Nazifrei – gemeinsam blockieren« zeigt: zunächst wurde der Provider vom Landeskriminalamt Sachsen ultimativ aufgefordert, diese Aufrufe, Plakate und Flyer zu den Blockadeaktionen zu entfernen und den Zugang zur entsprechenden Website zu sperren: der Aufruf enthalte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Dresden eine strafbare »öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gemäß § 111 Strafgesetzbuch in Verbindung mit § 21 Versammlungsgesetz«. Anschließend fanden in mehreren Bundesländern Razzien statt, Plakate wurden beschlagnahmt, Plakatierer festgenommen und mit Ermittlungsverfahren überzogen; über unseren Antrag auf gerichtliche Entscheidung hiergegen wegen offensichtlicher juristischer Haltlosigkeit der strafrechtlichen Vorwürfe wurde bisher weder vom Amtsgericht Berlin noch Dresden entschieden.

Es ist also noch nicht ausgemacht, ob es sich bei der Kriminalisierung der Aufrufe um ein Vorpreschen besonders forscher Staatsanwälte oder um koordinierte Maßnahmen handelt. Fest steht allerdings schon jetzt, dass die schwarz-gelbe Regierung eine weitere Eskalation der jahrzehntelangen Verfolgung von »links« unter dem Label des »Kampfes gegen den politischen Extremismus« plant. Unter dieser Überschrift heißt es im Koalitionsvertrag:

»Extremismen jeder Art, seien es Links- oder Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Islamismus, treten wir entschlossen entgegen«. Dass der Linksextremismus hier als erstes genannt wird, ist kein Zufall, ebenso wenig wie die Ankündigung, die ohnehin zu geringen finanziellen Mittel für Programme und Organisationen, die den Rechtsextremismus bekämpfen, jetzt zu Gunsten des Kampfes gegen den »Linksextremismus« zu reduzieren.

Die seit 1973 vom Bundesamt für Verfassungsschutz propagierte und von der politischen Klasse favorisierte »Extremismus-These« zur vorgeblichen Rettung der Demokratie vor seinen schlimmsten Feinden, kann auf eine lange Tradition auch an der juristischen Front zurückblicken. So hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem KPD-Verbots-Urteil von 1956 eine »spezifische Ausformung der freiheitlichen Demokratie« ausgemacht und die Bundesrepublik im Gegensatz zu ihren Weimarer Vorgängern als »wertgebundene Ordnung« bestimmt, als »militante« oder »streitbare Demokratie«, die mit ihrem politischen Opponenten im Zweifel nach dem Grundsatz verfährt »keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit.« Die Konstruktion der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«, abgekürzt »fdGO«, ist damit Teil jener »Verfassungsordnung«, die sich nicht schlechthin frei nennt, sondern »freiheitlich« – somit ein bewusst vollzogener Bruch mit liberalen Grundrechtstradition und damit auch ungebrochen durchgehaltene Kontinuität jener spezifisch deutschen Staatsbezogenheit und Subalternität, die einem souveränen und liberalen Politikverständnis und einer ebensolchen gesellschaftlichen Entwicklung hierzulande immer schon im Wege stand.

Diese Grundgesetzinterpretation steht im krassen Gegensatz zur Behandlung von Organisationen auf der »anderen Seite«: nach einer klaren Grundgesetz-Bestimmung im Artikel 139 GG (in Verbindung mit den Kontrollratsgesetzen) sind NS-Organisationen aufgelöst und verboten: er wurde nie auf Neo-Naziorganisationen angewandt, sondern für »obsolet« erklärt. Kein Wunder also, dass das »fdGO«-Konstrukt in der späteren Geschichte der BRD als Grundlage für die Verfolgung und Unterdrückung »links (-radikaler)« Politik gedient hat und jetzt offenbar gegen alle demokratischen Kräfte eingesetzt werden soll, denen das Etikett »Extremismus« angehängt werden kann.

Aber noch gibt es Hoffnung – nicht nur in Form von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Totalitarismustheorie, sondern auch in Berichten linksliberaler Medien: die Demokratie wurde danach in Dresden nicht von denen geschützt, die mit ihrer Lichterkette symbolisch gegen »die Extremisten« protestierten, sondern von den »Angereisten«, die die Nazis – allen Anfeindungen von Polizei, Justiz und Politik zum Trotz – erfolgreich blockiert haben.