Samtpfoten-Revisionismus

geschrieben von Andreas Diers

5. September 2013

Sammelband zur Auseinandersetzung mit aktueller Geschichtspolitik

Mai-Juni 2010

Gerd Wiegel/Jan Korte (Hrsg.): Sichtbare Zeichen. Die neue deutsche Geschichtspolitik. Von der Tätergeschichte zur Opfererinnerung.

Papyrossa Verlag, Köln 2009. 170 Seiten. 12,90 EUR. ISBN-13: 9783894384203

Die großen öffentlichen, lauten und heftigen geschichtspolitischen Debatten der 80er und 90er Jahre über den deutschen Faschismus scheinen gegenwärtig vorbei zu sein. Es gibt heute offensichtlich keine grundsätzlichen wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen mehr wie die um die Thesen von Ernst Nolte im Jahr 1986 oder um die von Daniel Jonah Goldhagens 1996. Und die neueren Äußerungen von Martin Walser, der einst viel Streit provoziert hat, werden heute wohl eher in die Kategorie »Altersstarrsinn eines politisch Unbelehrbaren« abgelegt.

Es wäre jedoch sowohl aus politischen Gründen als auch unter wissenschaftlichen Aspekten vollkommen falsch und mehr als fatal, sich von dieser – nur scheinbaren – Ruhe in den Auseinandersetzungen um den deutschen Faschismus sowie den Zweiten Weltkrieg mitreißen zu lassen und sie nicht vielmehr genau und sehr differenziert zu untersuchen. Der von Jan Korte und Gerd Wiegel herausgegebene Sammelband leistet dazu einen überaus wichtigen und äußerst anregenden Beitrag. Er rückt nämlich den »Geschichtsrevisionismus auf Samtpfoten« und die mit diesem verbundenen Gefahren in den Blick einer zumindest etwas breiteren Öffentlichkeit.

Bevor in neun Einzelbeiträgen einige Aspekte der neuen Geschichtspolitik in der BRD analysiert werden, gehen Korte und Wiegel in ihrer Einleitung zu dem Band auf die wesentlichsten gesellschaftlichen, historischen und politischen Zusammenhänge hinsichtlich dieser Geschichtspolitik ein und stellen dadurch wichtige Verbindungen zwischen den Beiträgen her. Dadurch wird nicht zuletzt auch das Verständnis der politischen Bedeutung der in den Beiträgen behandelten einzelnen Thematiken gefördert – gerade auch bei denjenigen Leserinnen, die sich mit der Problematik bislang noch gar nicht oder nur am Rande beschäftigt haben.

Überzeugend sind die wohl wichtigsten Thesen der beiden Herausgeber zu den geschichtspolitischen Debatten:

Diese Thesen der Herausgeber verdeutlichen, dass die Auseinandersetzungen bezüglich der historischen und den geschichtspolitischen Debatten nicht nur vermeintlich abstrakte wissenschaftliche Diskurse sind, sondern wie stark sie tatsächlich durchaus wichtige Bestandteile des Kampfes um die gesellschaftliche Hegemonie sind.

Angesichts der gegenwärtigen – auch von Teilen der Linken leider immer noch viel zu wenig beachteten – Debatten über die neue deutsche Geschichtspolitik ist dieser Sammelband als Diskussionsgrundlage sowohl äußerst nützlich, als auch sehr anregend und inspirierend. Es ist zu hoffen, dass diesem Band weitere Bände zu der wichtigen Thematik folgen werden, vielleicht auch mit Debattenbeiträgen einer etwas heterogeneren Autorenschaft.