Schandmal Bunker

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Ein brandaktuelles Thema des 50. bundesweiten
Gedenkstättenseminars

Nov.-Dez. 2008

Leiter der Bunkerplanung bis April 1945 war der Ingenieur Erich Lackner. Er war im Sommer 1943 aus dem auf Bunkerbau spezialisierten Berliner Ingenieurbüro von Arnold Agatz als Verantwortlicher Bauleiter für den Bunker »Valentin« nach Bremen geschickt worden. Zu seinen späten Ehren wurde im Dezember 1965 die »Erich-Lackner-Stiftung« gegründet, die alle zwei Jahre einen Förderpreis auslobt. Zum 85. Geburtstag seines einstigen Chefs Arnold Agatz erschien 1976 im »Jahrbuch der Wittheit zu Bremen« ein 46 Seiten umfassendes Porträt unter dem Titel: »Ein erfülltes Ingenieurleben«. Er habe sich »hochverdient« um Bremen gemacht, schrieb die örtliche Presse, als ihm Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) im Oktober 1964 im Auftrag des Bundespräsidenten Heinrich Lübke (KZ-Baumeister) den Stern zum großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreichte. Im September 1983 erhielt in Bremerhaven eine Straße den Namen des, wie die Nordsee-Zeitung anmerkte, »international anerkannten und geehrten Hafen- und Wasserbauers«. Von seinen Bunkern war keine Rede mehr.

Zum 50. bundesweiten Gedenkstättenseminar hatten die Bundeszentrale für politische Bildung, deren Bremer Landeszentrale, die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und die Berliner Stiftung Topographie des Terrors für die Tage vom 11. bis 13. September 2008 nach Bremen eingeladen. Etwa 120 Mitarbeiter u. a. von bundesdeutschen Gedenkstätten und wissenschaftlichen Einrichtungen beschäftigten sich mit dem, für die Hansestadt gegenwärtig brandaktuellen, Thema: »Denkort Valentin – Marinerüstung und Zwangsarbeit«. Im Vorfeld des Seminars war am 7. September in Bremen von Bundes- und Landespolitikern über die Zukunft des Denkortes Bunkers »Valentin« – gegenwärtig noch ein Depot der Bundesmarine – beraten worden. Im Jahr 2010 will die Bundeswehr den Bunker »besenrein« an das Finanzministerium übergeben. Der Stadtstaat, Historiker, örtliche Initiativen und Gedenkstättenpolitiker fordern seit vielen Jahren, den Bunker, eine barbarische Hinterlassenschaft des faschistischen Regimes, als »Gedenk- und Begegnungsstätte« zu erhalten. Das ist jedoch ohne Hilfe des Bundes nicht möglich. Der aber möchte den Bunker der klammen Hansestadt verkaufen.

»Wir haben wertvolle Ratschläge bekommen und Zusagen für weitere Unterstützung« resümierte Herbert Wulfekuhl von der Landeszentrale für politische Bildung den Verlauf des Seminars. »Jetzt können wir uns daran machen, die Konzeption des künftigen Gedenkstättebetriebs zu erarbeiten und wir können und werden dabei auf den Rat der Experten zurückgreifen.« Ähnlich zufrieden zeigte sich Bremens Bürgermeister Jens Böhmsen, der im Vorfeld die Veranstaltung als »eine gute Gelegenheit« bezeichnet hatte, »bundesweit den Blick auf den Bunker zu lenken und seine ungewisse Zukunft zu beraten«.

Eine Festveranstaltung mit wohlverdienten Glückwünschen an die Mütter, Töchter, Väter oder wie immer, wurde dieses 50. bundesweite Gedenkstättenseminar nicht. Man ehrte sich, in Auslegung eines Brechtwortes, indem man der Sache, hier konkret der Beschäftigung mit einer fast unverdaulichen Hinterlassenschaft des faschistischen Regimes, nutzte. Diese Gedenkstättenseminare haben sich im Verlaufe der Jahrzehnte und an mittlerweile über 30 ehemaligen Konzentrationslagern oder Stätten der Vernichtung und des Widerstandes einen nicht mehr wegzudenkenden Platz in der Arbeit all jener erworben, die sich, ob in deutschen KZ-Gedenkstätten, an Forschungs- oder Bildungseinrichtungen oder in lokalen Bürgerinitiativen der Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus verschrieben haben. Für Letztere sind sie mittlerweile auch eine Stätte des Erfahrungsaustausches geworden für den Umgang mit staatlichen Behörden, die mancherorts NS-Gedenkstätten immer noch als »Standortnachteil« betrachten.

Das seit 1984 bei der Berliner Stiftung Topographie des Terrors angesiedelte Gedenkstättenreferat koordiniert diese zweimal jährlich stattfindenden Seminare. Sie dienen wesentlich der Vernetzung der Gedenkstättenarbeit und der Durchsetzung gemeinsamer Standards für die pädagogische und inhaltliche Arbeit in den Gedenkstätten. Die Tatsache, dass dieses Referat Sitz und Stimme in Stiftungsräten deutscher KZ-Gedenkstätten und in der »Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten der Bundesrepublik Deutschland« hat, spricht für die Wertschätzung der dort geleisteten Arbeit. Die Themen der Seminare sind in der Regel festgemacht an dem jeweiligen Veranstaltungsort und dessen -nicht nur historischem – Platz in der deutschen und mittlerweile auch internationalen Gedenkstättenpolitik (Torgau, Buchenwald, Haus der Wannseekonferenz, Auschwitz).

Aus ganz aktuellem und auch historischen Anlass nun also die Jubiläumstagung zu Thema »Bunker Valentin«. Am 17. September 1943 war im Rahmen der totalen Kriegsführung und des im Zusammenhang damit forcierten Flottenrüstungsprogramms der Grundstein für diesen, von seinen Erbauern als »Koloss von Farge«, auch als »achtes Weltwunder« gefeierten Bunker gelegt worden. In der Realität geriet er zu einem der exemplarischsten Orte faschistischen Größenwahns und Mordpolitik. Die Ausmaße sind gigantisch: über 35.000 Quadratmeter Grundfläche, 426 Meter lang, 100 Meter breit und innen 25 bis 33 Meter hoch. Die Fundamente reichen zwölf Meter in die Erde. Hier, im größten deutschen U-Bootbunker, sollte alle 56 Stunden ein U-Boot fertiggestellt und direkt in die Weser geleitet werden.

So monströs wie die Anlage waren die Bedingungen für die Menschen, die hier arbeiten mussten. 50 Firmen waren daran beteiligt. In der ersten Phase wurden 2.000 Häftlinge aus dem nahegelegenen Konzentrationslager Neuengamme, zunächst vorwiegend sowjetische und polnische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, eingesetzt. Später folgten deutsche und französische politische Widerstandskämpfer. Insgesamt mussten hier, wie auf dem am 17. September 1983 errichteten Mahnmal »Vernichtung durch Arbeit« vor dem Bunker vermerkt ist, etwa 10.000 Häftlinge Fronarbeit leisten. Sie wurden zum Teil in dem in Farge bereits 1940 15 Meter unter der Erde errichteten Treibstoffbunker untergebracht, den die Gestapo als »Arbeitserziehungslager« (AEL) nutzte. Hunderte starben in den feuchten unterirdischen Erdlagern an Hunger und Entkräftung. Nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge wurden von der SS mit Spritzen getötet oder in Vernichtungslager abtransportiert. Nach Kriegsende sind in der Nähe des Bunkers und des KZ 5.000 verscharrte Leichen gefunden worden.

Bei den Vorstellungen über den Auftrag der recht bald zu realisierenden Gedenkstätte wurden in den Plenartagungen und in den Arbeitsgruppen nachdrücklich die (auch hier) anklingenden Tendenzen zurückgewiesen, den Bunker als einen Ausdruck hoher technischer Leistungskraft und der »Modernität« des Regimes zu akzeptieren. Die hier verübten Verbrechen an den Häftlingen stünden in Einheit mit den faschistischen Kriegszielen und dem Anteil der SS, der Marine, der Wehrmacht und auch der Organisation Todt, die hier, wie beim Bau des KZ Mittelbau-Dora oder den Raketenanlagen in Peenemünde maßgeblich für den Einsatz von Zwangsarbeiter verantwortlich war. Der Bunker müsse ein »DenkOrt« zur ständigen Erinnerung an diese Verbrechen sein. So, wie es seit Jahren von Bürgervereinigungen, wie dem »Verein Dokumentations- und Gedenkstätte Geschichtslehrpfad Lagerstraße/U-Boot-Bunker Valentin« und der Bremer VVN-BdA gefordert wird. Sie fordert zur Sicherung der notwendigen finanziellen Mittel eine eigene Gedenkstättenstiftung, die dann auch an die Unternehmen herantreten kann, die aus der Fron und dem Tod der Sklavenarbeiter ihre Profite bezogen haben.

Als Häftling 37.174 hat der Franzose Raymund Portefax die Sklavenarbeit am Bunker »Valentin« überlebt. Über die Zustände im Lazarett berichtete er: »Abgetrennte Finger, brandige Wunden, eitrige Entzündungen und Furunkel sind noch die harmlosesten Krankheiten. Einige spucken Blut, andere wieder zittern vor Fieber und sind hergekommen, um noch einmal eine Bronchitis oder eine Lungenentzündung bescheinigt zu bekommen.«

Für die Zustände im Lager mitverantwortlich war Lagerarzt Dr. med. Walter Heidbreder, der nie belangt worden ist. Als er in Bremen-Nord starb, versicherte der Heimatverein Farge-Rekum in einer Traueranzeige: »Wir werden ihn in guter Erinnerung behalten.«

Detlev Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, präzisierte bei seinen Vorstellungen über die Konzeption des »DenkOrtes« den historischen Platz des Bunkers u. a. mit dem Verweis auf die am Bau beteiligten Konzerne als Verkörperung des Beziehungsgeflechtes von Staat und Wirtschaft. Der gesamte Komplex habe mit insgesamt sieben Lagern ein eigenes Lagersystem dargestellt. Das ganze Projekt sei nur durch den gewaltigen Einsatz von Zwangsarbeitern möglich geworden. Die Verantwortlichen für die brutale Behandlung der Zwangsarbeiter durch SS- und Wehrmachtsangehörige wurden, wie in Vorträgen mehrfach betont, eben sowenig zur Verantwortung gezogen wie die Bau- und Rüstungskonzerne, die hier Riesenprofite eingefahren haben. So stand im Schlussplenum der Platz des Bunkers »Valentin« in der deutschen Gedenkstättenlandschaft außer Frage. Er kann so auch nicht wie eine x-beliebige Immobilie behandelt und verkauft werden. Er muss nach Freigabe durch den Bund Ende 2010 als nationaler »DenkOrt« gestaltet und erhalten bleiben. Die Verantwortung dafür liegt bei der Bundesregierung. Die Landesregierung ist bereit, dafür eine Konzeption vorzulegen und sich mit 50 Prozent an den entstehenden Kosten zu beteiligen.