Schwierige Einheit

geschrieben von Jörg Wollenberg

5. September 2013

Ein Briefwechsel ehemaliger Buchenwaldhäftlinge aus den Jahren
1946/47

Nov.-Dez. 2012

Im Oktober 1977 traute der Autor seinen Augen nicht. Während eines Spazierganges lag vor ihm im Sperrmüll ein Briefwechsel der Buchenwald-Häftlinge Paul Jagenburg, Ernst Thape und Joachim Wittschiebe, angereichert durch Briefe des 1931 von der NSDAP zur KPD übergewechselten Richard Scheringer. Ort des Fundes: das Haus an der Hochstraße 14 in Bielefeld, Wohnsitz der Familie Jagenburg. Die Erben hatten offensichtlich kein Interesse an dem Nachlass des langjährigen Kulturreferenten der Stadt Bielefeld. Es handelte sich um einen Briefwechsel aus dem Jahre 1946/47. Er macht deutlich, wie schnell die gemeinsame Hoffnung der KZ- Häftlinge auf eine Neuordnung Deutschlands durch die »Auslieferung an die verschiedenen Besatzungsmächte in ideologischer und praktischer Hinsicht« schwinden sollte (Jagenburg an Thape, 28.01.1946).

Ende April 1947 versammelten sich die Delegierten der britischen Besatzungszone in Bielefeld, um den DGB zu gründen. Mit dabei waren neben Vertretern der Militärregierung und Repräsentanten des öffentlichen Lebens aus dem In-und Ausland auch Kommunalpolitiker wie Paul Jagenburg (KPD). Die Sitzung wurde von Hans Böckler (SPD) vom Zonenvorstand aus Köln eröffnet. Unter den Gästen befand sich der Vorsitzende des FDGB der SBZ aus Berlin, Hans Jendretzky (SED). Seine Begrüßungsrede wurde mit »starkem Beifall« aufgenommen, weil er für die »baldige Schaffung der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands« plädierte. Der Vertreter der gastgebenden Gewerkschaft vor Ort, Hans Böhm, sprach im Namen des Zonenvorstands ebenfalls die Hoffnung aus, »dass der Tag nicht fern sein möge, wo über die Zonengrenzen hinaus auch die Gewerkschaftsbewegung ein einheitliches Gesicht trägt«. Noch beherrschte der Schwur von Buchenwald die Herzen und Köpfe vieler Deutscher, auch wenn einige der Buchenwaldhäftlinge den eingeschlagenen Weg zur Einheit der Arbeiterbewegung mit Sorgen beobachteten. Für den Bielefelder Buchenwaldhäftling Paul Jagenburg war die »vertrauensvolle Aussprache und Zusammenarbeit der beiden Linksparteien als Voraussetzung und Möglichkeit, den Wiederaufbau zu beginnen« schon Anfang 1946 gefährdet. (Brief an Thape, 28.01.1946). Eineinhalb Jahre später teilte der bayerische Landtagsabgeordnete Richard Scheringer (KPD) dem in Bielefeld als Kulturreferenten tätigen Freund Jagenburg dazu lapidar mit: »Ich sehe für Deutschland katastrophale Zeiten kommen. Die erste Periode des Kampfes um die Einheit Deutschlands und die Schaffung einer großen Linken nähert sich ihrem Ende mit negativem Abschluss« (12. Juli 1947). Jagenburg, nach der Befreiung zunächst für die Betreuung der politisch Verfolgten in Bielefeld zuständig, hatte monatelang als Mitglied der KPD auf die Besetzung der ihm zugesprochenen Stadtratsstelle in Bielefeld warten müssen. Er fragte deshalb am 28.Januar 1946 beim damaligen Vizepräsidenten der Provinz Sachsen (Sachsen-Anhalt), Ernst Thape, an, ob dieser ihn nicht in der SBZ unterbringen könne. Der Sozialdemokrat Thape gehörte zu den Verfassern des »Buchenwalder Manifest für Frieden, Freiheit und Sozialismus«, das am 13. April 1945 vom unbeugsamen Sozialisten Hermann Brill den Häftlingen in der Kinohalle von Buchenwald als Regierungsprogramm für eine »deutsche Volksregierung« vorgestellt worden war. Thape hatte nach der Befreiung die Vereinigung von KPD und SPD zur SED mitgetragen. Als Parteigänger des ehemaligen Reichstagsabgeordneten Gustav Dahrendorf (SPD) nahm er u.a. im Dezember 1945 an der 60er Konferenz von SPD- und KPD-Vertretern in Berlin teil. Er verließ jedoch im November 1948 während der Berliner Block-ade die SBZ, trat aus der SED aus und wurde 1949 Pressereferent des Ministerpräsidenten Hinrich Kopf (SPD) in Hannover und später Mitarbeiter des Ostbüros der SPD. Auch gegenüber dem in Magdeburg tätigen KPD-Sekretär Joachim Wittschiebe äußerte Jagenburg Zweifel am Einfluss der Deutschen auf die Politik: »Denn eigentliche Politik können wir ja doch auf längere Zeit nichts machen, weil wir kein souveränes Volk sind, und Erfüllungspolitik zu treiben und damit mancherlei gutzuheißen, was ich nicht billigen und für unser Volk nicht vorteilhaft ansehen kann, möchte ich vermeiden; darin liegt die Gefahr, sich die Wirkung der Zukunft zu verbauen« (17.03.1946). Gleichzeitig hielt Jagenburg im März 1946 zur Entwicklung in der SBZ fest: »Gegen die dort durchgeführte Einheitspartei habe ich mancherlei Bedenken. Nicht dass ich gegen die Einheit der Arbeiter und aller sozialistisch eingestellten Menschen in Deutschland wäre. Aber mir scheint eine Aktionseinheit aus verschiedenen Gründen richtiger. Außenpolitisch bedeutet die dortige Einheitspartei ein Festlegen auf eine äußere Macht. Darin liegt die Gefahr, dass wir in unserem gegenwärtigen Zustand völliger Ohnmacht den außenpolitischen Interessen dieser einen Macht völlig ausgeliefert sind … Innenpolitisch, oder richtiger ausgedrückt, parteilich gesehen, sehe ich zweierlei Nachteile. Einmal die Möglichkeit, dass sich eine neue Sozialdemokratische Partei auftun wird aus den Angehörigen der jetzigen SPD, welche mit der befohlenen Einigung nicht einverstanden sind (unser alter Lager-Kamerad Hermann Brill hat den SED-Ausschuss verlassen!); und zweitens, dass ein großer Teil der Volksgenossen, welche sich der SPD angeschlossen haben würden, die bürgerlichen Parteien verstärken werden. Im großen und allgemeinen gesehen, besteht nunmehr die Gefahr, dass der deutsche Raum an der Elbe in zwei Teile geteilt wird, für uns kann es aber nur eine Aufgabe geben, die Einheit des deutschen Raumes zu wahren«. (17.03.1946).