Spiegel der Welt

geschrieben von Alfred Fleischhacker

5. September 2013

Elf Erzählungen über das Leben

Jan.-Feb. 2007

Robert Schopflocher: Spiegel der Welt, Edition Memoria 2006

Unter diesem Titel erschien jetzt ein Band mit Erzählungen in deutscher Sprache. Sein Verfasser, Robert Schopflocher, lebt nicht in Deutschland. Weshalb sei kurz geschildert.

Geboren wurde er 1923 mit einem damals noch nicht erkennbaren Makel. War er doch als Kind jüdischer Eltern zur Welt gekommen. In den ersten zehn Lebensjahren fiel das nicht ins Gewicht. Ab 1933 umso mehr. Fast in Sichtweite seines Geburtsortes Fürth wurden zwei Jahre später auf einem martialisch inszenierten Reichsparteitag der „NSDAP“ einschneidende Ausgrenzungen gegen die im Land lebenden Juden verkündet. Als „Nürnberger Gesetze“ sind sie in die Geschichtsschreibung eingegangen.

Roberts Eltern deuteten die Zeichen der Zeit richtig, schickten den Sohn zunächst in das Jüdische Internat-Landschulheim- Herrlingen bei Ulm und emigrierten 1937 nach Argentinien. Dort begann er seine berufliche Laufbahn in den Siedlungen von Baron Hirsch. Das waren landwirtschaftliche Einrichtungen, die gegründet wurden, um in Russland von Pogromen des Zarenreiches verfolgten Juden ein Leben ohne Repressionen zu ermöglichen. Doch neben der merkantilen hatte Schopflocher auch eine künstlerische Ader. Die wollte er nicht verdorren lassen. Er begann zu schreiben, veröffentlichte in Spanisch verfasste, mit Preisen bedachte Romane und Theaterstücke. Erst in den neunziger Jahren fand er zurück zu seiner Muttersprache. 1999 erschien hier seine erste Erzählung „Wie Reb Froike die Welt rettete“

Den nun vorliegenden dritten Erzählband könnte man auch als Reflektionen über „die Welt in einem Spiegel“ deuten. Er beinhaltet elf Geschichten, voller Alltagsprobleme und darüber, wie Menschen sie auf die eine oder andere Weise zu lösen versuchen. Zum Beispiel die betagte Frau , die ihre noch verbleibende Zeit in einem Pflegeheim verbringt und ihren Kanarienvogel als Ansprechpartner mehr schätzt als das Personal, das sich um sie kümmert. Da können einem, zumal im Stadium fortgeschrittenen Alters, sehr wohl dunkle Gedanken über unerwünschte Nebenwirkungen in derlei Einrichtungen heimsuchen. Zwei Erzählungen beschreiben das Leben in Argentinien zur Zeit der Militärdiktatur in den siebziger Jahren. Die war nicht von Skrupeln geplagt im Umgang mit allen, die sie als ihre Feinde betrachtete .In „Morgengrauen“ wird eine Familie porträtiert, die eigentlich in das herrschende Establishment eingebunden scheint. Doch die beiden gerade erwachsen gewordenen Kinder, Tochter und Sohn, beginnen sich, zusammen mit Gleichgesinnten, gegen die Junta aufzulehnen. Mit Folgen, die die Eltern nur schwer zu begreifen vermögen. Die vorletzte Erzählung „Sitz der Seele“ beginnt so: „An einem schwülen Dezembermorgen im Jahre 1978, als auf den Straßen das martialische Tam- Tam der argentinischen Militärregierung die Bevölkerung auf den Krieg gegen Chile vorbereiten sollte, wurde im Jüdischen Gemeindehaus von Buenos Aires ein schlecht rasierter Mann mittleren Alters vorstellig“. Er bat um ein Gespräch mit einem Rabbiner und stellte dem behutsam eine dickwandige Flasche auf den Tisch. Das Blut seiner armen Tochter, Gott der Allmächtige habe sie selig. Mehr sei ihm von seinem Kinde nicht geblieben. Auch sie ein Opfer der Generäle. Ihrem Blut, das für ihn sozusagen den Leichnam seiner Tochter darstelle, wollten er und seine Frau ein jüdisches Begräbnis angedeihen lassen. Die Reaktion des Rabbiners vermittelt Einblicke in die Gedankenwelt religiöser Würdenträger und auch in die Verstrickung aller Religionen in die gesellschaftlichen Zustände, in denen sie wirken.

Ein Buch das Frau/Mann, gleich welchen Glaubens, welcher Weltanschauung beim Lesen Spannung, Freude und Einblicke in die facettenreiche Vielfalt des Lebens vermittelt.