Unterschiede beachten!

geschrieben von Hans Rentmeister

5. September 2013

Zur Gleichsetzung von NS-Konzentrationslagern und Internierungslagern

Sept.-Okt. 2006

Die „Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e. V.“ hat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten vorgeworfen, ihre Interessen nicht ausreichend zu vertreten und dem Direktor unterstellt, er behandele die Opfer der sowjetischen Speziallager als „Opfer zweiter Klasse“. Dieser strengte dagegen eine gerichtliche Unterlassungserklärung an. Die Stiftungsratsvorsitzende, Brandenburgs Kulturministerin Prof. Dr. Johanna Wanka, bot ihre Vermittlung an.

Nach wie vor sollen die Verbrechen der Nazis durch den Vergleich und die Gleichsetzung mit Ereignissen nach 1945 relativiert werden. Einen besonderen Stellenwert nehmen dabei die Internierungslager der Sowjetunion nach 1945 in Deutschland ein. Die Entgleisung des Brandenburgischen Innenministers Schönbohm auf der Gedenkveranstaltung anlässlich des 61. Jahrestages der Befreiung des KZ Sachsenhausen, ist dafür ein typisches Beispiel.

Internierungslager haben in Europa eine über hundertjährige Geschichte. Sie entstanden vor, während oder nach Kriegen. Dem Kriegsrecht geschuldet, sind sie Teil des Unrechts und der Grausamkeit von Kriegen. Rechtliche Verfahren wie in Friedenszeiten. existieren hier nicht, bestimmte Personengruppen werden nach festgelegten Merkmalen willkürlich eingesperrt, unabhängig von konkreter Schuld. Sie werden nach Gutdünken des jeweiligen Staatswesens behandelt, auch in Bezug auf die Dauer ihrer Haft. In Folge des Zweiten Weltkrieges hatten in Deutschland alle vier Besatzungsmächte Internierungslager. Die USA in Dachau, Großbritannien in Neuengamme und Esterwegen, die Sowjetunion in Sachsenhausen und Buchenwald. Frankreich brachte die zivilen Internierten in bereits bestehende Internierungslager in Frankreich.

Die Alliierten waren in Potsdam und Jalta übereingekommen, alle durch das Naziregime Belasteten in „automatischen Arrest“, also in Internierung zu verbringen. In den Jahren 1945 und 1946 betraf das in der: amerikanischen Besatzungszone etwa 100.000, in der britischen Zone 9.800, in der französischen 19.000 und in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 67.000 und 157.000 Personen. Die Internierungslager und damit das Leid, dass die Internierten erfahren haben, hätte es nie gegeben, hätte Nazideutschland nicht die KZ geschaffen und den Krieg begonnen.

Das „Speziallager“ in Sachsenhausen war Internierungslager, Strafvollzugsort verurteilter Naziverbrecher, Kriegsgefangenenlager und Lager für die Repatriierung von Sowjetbürgern. Dort befanden sich unter anderem. Naziverbrecher, die KZ-Häftlinge ermordet, gepeinigt und gequält hatten. In Statistiken unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Maßstäben erstellt, wird von 20 bis 80 Prozent von zu Recht Inhaftierten gesprochen. Zu ihnen gehörten beispielsweise Angehörige des Kommandanturstabes des KZ Sachsenhausen und Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück. Der für Mord- und Folteraktionen im KZ Sachsenhausen verantwortliche Gestapomann Carl August Rikowski war einer von ihnen. Außerdem befanden sich NS-Täter im Lager, die sich an Massenmorden beteiligt hatten, wie der Medizinprofessor Hans Heinze, der zwischen 1938 und 1945 maßgeblich an der Planung und Durchführung der „Kinder-Euthanasie beteiligt war.“ Die Mehrzahl der Internierten waren jedoch kleinere und mittlere Funktionsträger der NSDAP.

In den Internierungslagern aller Alliierten, auch den sowjetischen, existierte eine hohe Sterberate. Sie lag vor allem in mangelnder Ernährung und Hygiene sowie Krankheiten begründet. Die französischen Internierungslager hatten die höchste Todesrate in der nicht kleinen Internierungsgeschichte Frankreichs. Die Lebensmittelration in den sowjetischen Internierungslagern entsprach in etwa der niedrigsten Lebensmittelkarte für die Bevölkerung der SBZ. In der Sowjetunion starben in Folge des Krieges zu gleichen Zeit Hunderttausende an Hunger. In den Konzentrationslagern wurde systematisch gemordet, im Internierungslager wurde gestorben.

Die Tragik des Todes, und erst recht massenhaften Sterbens, darf nicht dazu führen, dass dieser Unterschied unter dem Mantel der Nächstenliebe verdeckt und schließlich geleugnet wird. Diese historische Wahrheit muss bewahrt bleiben.

Erst wenn all die vorgenannten Dinge akzeptiert und benannt sind, kann und muss man über das sprechen, was außerhalb der Kriegszusammenhänge an Unrecht geschah. Die ehemaligen KZ-Häftlinge und Antifaschisten haben dieses Unrecht immer als solches angesehen und verurteilen es. Ihr Credo ist der Humanismus, festgeschrieben unter anderem in dem „Vermächtnis der ehemaligen Häftlinge des KZ Sachsenhausen“ vom April 2006.