Vaterland statt Sozialstaat?

geschrieben von P. C. Walther

5. September 2013

Mit Kampagnen sollen Stimmungen erzeugt werden

Sept.-Okt. 2006

Das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft hat die Herzen von Patriotismus-Verfechtern höher schlagen, aber auch bei Nationalismus-Gegnern die Köpfe schwerer werden lassen.

Für beides gab es eigentlich keine volle Berechtigung. Primär entsprach das Fahnenmeer zur Weltmeisterschaft dem Spaß und der Freude am Geschehen und der durchaus üblichen Unterstützung für den eigenen Verein, der in diesem Fall eben die Nationalmannschaft des eigenen Landes ist. Mehr sollte man nicht hineininterpretieren. Nicht jede Begeisterung für den eigenen Verein und fürs eigene Land ist schon eine Vorstufe zum Nationalismus.

Andererseits wurde – und wird – von interessierten Kreisen versucht, eine solche Freude und Begeisterung zu instrumentalisieren. Darüber hinaus wurde sicher auch versucht, die Partystimmung im Lande zu nutzen, möglichen Ärger über politische Entscheidungen, die in diesen Wochen gefällt wurden (so zum Beispiel die verabredeten Kernpunkte zur sogenannten Gesundheitsreform), in den Hintergrund zu drängen.

Viel mehr noch gehören die ideologischen Gebäude „Vaterland“ und „Patriotismus“, wie sie von konservativen Kräften interpretiert werden, schon seit geraumer Zeit zu den Stimmungen, die zum Tragen gebracht werden sollen.

In Zeiten des nach wie vor betriebenen Sozialabbaues (bei gleichzeitiger Förderung von Kapital und Unternehmen) soll eine so herbeimanipulierte überdimensionierte Vaterlandsliebe von den negativen Inhalten dieser Politik ablenken und die Menschen auf andere Felder führen. „Vaterland statt Sozialstaat“ lautet gewissermaßen die Zielorientierung.

Rudolf Speth, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, hat anhand der Ergebnisse von Untersuchungen der PR-Aktivitäten arbeitgeberverbands- und firmennaher „Initiativen“, Denkfabriken, Agenturen und Stiftungen darauf hingewiesen, dass Großunternehmen mit Hilfe von Kampagnen ganz bewusst und gezielt versuchen, Stimmungen zu schüren und zu verbreiten, die den Unternehmens- und Verbandsinteressen förderlich sind und eine entsprechende Politik voranbringen sollen. Eines der bekanntesten Beispiele ist die „Du bist Deutschland“-Kampagne.

Die Absichten, die mit solchen Kampagnen verfolgt werden, sind weder demokratischer noch sozialer Natur. Hier wird ganz offensichtlich versucht, Politik nicht nur zu beeinflussen, sondern in die eigenen Hände zu nehmen. Konzerne greifen „als bewusst politische Akteure in den politischen Prozess ein“, nennt das Speth.

Hier sind Abwehr und Entgegenwirken notwendig.