Versöhnung ohne Schuldbekenntnis?
5. September 2013
Mai-Juni 2013
Bundespräsident Gauck flüchtete sich in Sant´Anna in philosophische Ausschweifungen über die Schuld: »…die politische Schuld wird nun nicht von einem Gericht bearbeitet. Die öffentliche Benennung von Schuld und Schuldigen ist dann die erlaubte und notwendige Delegitimierung; das Urteil über gut und böse, Täter oder Opfer ist also auch möglich, wenn Gerichte nicht zu einem Schuldspruch gelangen können.«
Das Verfahren um das Massaker von Sant’Anna di Stazzema hat inzwischen die Diplomatie beider Staaten erreicht. Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano hatte bei seinem Staatsbesuch Ende Februar in Berlin Post für seinen deutschen Amtskollegen Joachim Gauck im Gepäck. Absender war Enrico Pieri, Überlebender aus Sant’Anna und Nebenkläger im Stuttgarter Verfahren. Die Einstellungsbegründung durch Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler zugunsten der in Italien durch alle Instanzen rechtskräftig verurteilten Mörder der Waffen-SS ist ein für die Opfer kaum zu ertragender Skandal. Im Land der Täter ist es zudem eine verpasste Chance, fast 70 Jahre nach den -Gräueln die Mörder juristisch nicht weiter zu schützen. Am 12. August 1944 wurde das toskanische Bergdorf von der Justiz bekannten deutschen Soldaten ausgelöscht und nahezu die ganze Dorfbevölkerung ermordet.
Dass die Täter straffrei bleiben sollen, wird in Italien nicht verstanden und die Rechtstaatlichkeit am Verfahren wird offen angezweifelt. Schwere Fehler wies der italienische Historiker Carlo Gentile, Mitglied der deutsch-italienischen Historikerkommission, dem Stuttgarter Ermittler nach. Italiens Staatsoberhaupt Napolitano kommentierte die Stuttgarter Begründung gar als »erschütternd«. Dennoch waren keine Vorwürfe Inhalt des Schreibens von Enrico Pieri. Er reichte dem deutschen Bundespräsidenten mit einer Einladung symbolisch eine Hand. Gemeinsam mit seinem italienischen Amtskollegen besuchte Gauck am 24. März 2013 Sant´Anna.
Der Bundespräsident nahm in seiner Rede stellvertretend ein Geschenk an, welches ihm allerdings nicht gemacht wurde und welches er einseitig nie annehmen dürfte: »Versöhnung ist letztlich ein Geschenk, das großzügig gegeben wird – und das man nur mit großer Dankbarkeit annehmen kann«, sinnierte er vor seinen italienischen Gastgebern. Der gelernte Pfarrer Gauck müsste jedoch wissen, dass Versöhnung ohne Anerkennung von Schuld und Sühne nicht möglich ist. Diese werden heute von der bundesdeutschen Justiz selbst als Geste verwehrt. Denn in Italien erwartet niemand, dass die alten Männer tatsächlich ins Gefängnis müssen.
Das Verbrechen schreie bis heute zum Himmel, räumt Gauck ein, dennoch rechtfertigt er den juristischen Täterschutz durch die Stuttgarter Justiz »weil die Instrumente des Rechtsstaates« eine strafrechtliche Verfolgung nicht zuließen. Da staunt der Laie ebenso wie der Experte. Die Stuttgarter Begründung hält auch der italienische Chefermittler zum Massaker Marco De Paolis für juristisch nicht haltbar. Die Frage bleibt, wenn Deutschland und Italien rechtsstaatlich handeln, welcher Rechtsstaat hat dann versagt?