Das Massaker von Kalavrita
11. September 2013
Nach 70 Jahren sind die Verbrechen weiter ungesühnt
Die Verbrechen der SS im französischen Oradour und im tschechischen Lidice sind weitgehend bekannt, die Massenmorde der Wehrmacht auf dem Balkan sind dagegen kaum bis gar nicht im kollektiven Gedächtnis der Tätergesellschaften verankert.
Im Sommer 1943 wurde in der nördlichen Peloponnes eine sich verstärkende PartisanInnentätigkeit registriert, die deutschen Okkupanten befürchteten eine alliierte Landung. Im Oktober sollte eine Wehrmachtskompanie in der Bergregion von Kalavrita nach Partisanen suchen. Es kam tatsächlich zum Kampf mit einer Einheit der Widerstandsorganisation ELAS, bei dem vier Soldaten fielen und 78 in Gefangenschaft gerieten. Wochenlang wurde unter Vermittlung griechischer Geistlicher über einen möglichen Austausch der deutschen Gefangenen gegen griechische Geiseln verhandelt. Erfolglos. Darauf zog die Wehrmacht etwa 3.000 Mann zusammen, obwohl man vermuten musste, dass die sich zurückziehenden Partisanen die Gefangenen nicht lebend zurücklassen würden. Doch Prestige und Strafanspruch der Wehrmacht rangierten in der Werteordnung des befehlenden Generals höher als das Leben der eigenen Soldaten, die noch dazu eine Schlacht gegen das »Sauvolk« (Zitat Generalmajor LeSuire) verloren hatten. Als Ziel des »Unternehmens Kalavrita« definierte er: » a) Vernichtung der in den genannten Räumen befindlichen Banden. b) Durchsuchung der Ortschaften nach Kommunisten, Waffen, Propagandamaterial usw. c) Such- und Vergeltungsaktion für das am 18.10.43 in Gegend Roji aufgeriebene 5./Jg. Rgt. 749.« Die Kampfanweisungen sahen vor, dass »Ortschaften, aus denen geschossen wurde«, niederzubrennen seien; besonderes Augenmerk sei »auf alle Klöster, Kapellen und einzeln stehende Häuser zu richten, da dort meist versteckte Waffenlager« zu vermuten wären.
Am 7. Dezember, vor ihrem Abzug, exekutierten die Partisanen ihre Gefangenen. Das stellte zweifelsfrei einen Bruch des Kriegsrechts dar – welchem die Freischärler nach deutscher Auffassung aber ohnehin nicht unterlagen – und diente der Wehrmacht zur Legitimierung bereits durchgeführter und noch beabsichtigter Morde an der Zivilbevölkerung. Am 13. Dezember ermordeten die Soldaten alle Männer Kalavrytas, 511 Menschen, der jüngste ein zwölfjähriger Bub. Die Stadt wurde in Brand gesetzt. Die eingeschlossenen Frauen und Kinder ließ man nach den Exekutionen der Männer wieder frei, auf dem Rückmarsch in die Standorte führten die Einheiten weitere Exekutionen durch und zerstörten 25 Dörfer.
Im Bericht über die abgeschlossene Aktion hieß es: »Als dann schärfste Form der Sühnemaßnahmen befohlen wurden (sic!), kamen Führer und Truppe der Kampfgruppe diesem Befehl nicht nur pflichtbewußt, sondern aus voller Überzeugung nach.« 696 griechische Zivilisten wurden Opfer des Befehls. Auch das Nationalheiligtum Kloster Agía Lávra wurde völlig zerstört, was die Empörung der Griechen noch steigerte und bis heute nachwirkt (Im Kloster wurde 1821 die Fahne der Freiheitskämpfer gegen die Osmanenherrschaft gesegnet).
Am 4. April 2000 besuchte Bundespräsident Johannes Rau Kalavrita und legte am Mahnmal oberhalb des Ortes einen Kranz nieder. Im gleichen Jahr schrieb der Völkerrechtler Norman Paech in »Der juristische Schatten…«: »Trotz Hunderten von Ermittlungsverfahren wurde wegen Kriegsverbrechen in Griechenland nur ein Hauptverfahren vor dem Landgericht Augsburg eröffnet. Es ging um die Erschießung von sechs Zivilisten auf Kreta. Das Gericht übernahm den Standpunkt der Wehrmacht, (…), so qualifizierte das Landgericht diese Hinrichtungen als ‚völkerrechtliche Notwehr‘ und sprach den angeklagten Hauptmann frei… Alle Bundesregierungen einschließlich der jetzigen haben sich bisher geweigert, mit der griechischen Regierung in Verhandlungen über die ungelöste Frage der Entschädigung für die Opfer der damaligen Massaker einzutreten.« Das Massaker von Kalavrita war das größte in Griechenland, es wurde im kollektiven Gedächtnis des griechischen Volkes zum Symbol für die Besatzungspolitik und die Verbrechen der Wehrmacht.