Nur ein erster Schritt
11. September 2013
Der NSU-Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag
Die Bestürzung war groß, als im November 2011 mit jedem Tag deutlicher wurde, dass Neonazis 13 Jahre unerkannt mordend und Bomben legend durch die Republik gezogen waren. Aber war diese Bestürzung auch echt?
»Das hätten wir uns nie vorstellen können…«, hieß es vor allem von Seiten der politisch Verantwortlichen. Hatten sie alle nicht wahrgenommen, dass schon vor dem ersten Mord des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) an dem Blumenhändler Enver Simsek am 9. September 2000 in Nürnberg seit der Wiedervereinigung 105 Menschen von Neonazis aus rechtsextremen und rassistischen Motiven ermordet worden waren? Die Ermittlungen aus dem Bundestagsuntersuchungsausschuss erlauben eine erschreckende Vermutung: Sie hatten es nicht wahrgenommen, weil sie nicht wollten oder nicht sollten. Der inzwischen vorliegende Abschlussbericht – es kann nicht mehr als ein vorläufiger sein, da die Untersuchungen längst nicht abgeschlossen sind – manifestiert aus Sicht der Linken vor allem zwei Ergebnisse:
Zum einen fehlt in der Bundesrepublik eine öffentliche und ehrliche Debatte zum (alltäglichen) Rassismus. Zum anderen haben die Geheimdienste, die im westlichen Nachkriegsdeutschland maßgeblich von Nazi-Größen aufgebaut worden waren, auf ganzer Linie versagt.
Nur so lässt es sich erklären, dass über viele Jahre fast ausschließlich im Umfeld der NSU-Mordopfer mit dem Verdacht auf organisierte Kriminalität ermittelt wurde, während sämtliche Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund unbeachtet blieben oder in kürzester Zeit fallen gelassen wurden. Auch deshalb ist es wichtig und zukunftsweisend, dass der nun vorliegende Bericht vom Untersuchungsausschuss einstimmig verabschiedet wurde – ein Novum in der Geschichte dieses Parlamentes.
Der Verfassungsschutz ist in seiner jetzigen Form überflüssig
Allerdings bleibt festzuhalten, dass im Detail durchaus unterschiedliche Auffassungen zu verzeichnen sind. Ausschließlich die Linke spricht sich dafür aus, den Verfassungsschutz – die Vizepräsidentin des Bundestages und Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuss, Petra Pau, spricht vom »Hauptversager« – in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Es gibt gute Gründe: Eine Behörde, die in Bund und Ländern unabhängig voneinander, aber stets in Konkurrenz zueinander und fast immer im Geheimen arbeitet, ist parlamentarisch nicht zu kontrollieren. Das Beispiel NSU hat gezeigt, wie anfällig der Verfassungsschutz für Einflussnahme zwielichtiger Machenschaften sein kann. Letztlich ist die persönliche Gesinnung Einzelner – als Beispiel sei hier der thüringische Verfassungsschutzchef Roewer genannt – für die Arbeit der Behörden entscheidend, die unsere demokratische Grundordnung schützen sollen. Nun aber muss der Verdacht aufkommen, dass es Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern manches Mal wichtiger war, ihre Spitzel, die oft selbst rechter Gesinnung waren, vor der Enttarnung zu bewahren. Auch deshalb will die Linke das V-Leute-System sofort und ersatzlos beendet wissen.
Allerdings darf selbstverständlich nicht unterstellt werden, dass die Fehler ausschließlich den Geheimdiensten anzulasten sind. Im Laufe der Untersuchung hat sich letztlich herausgestellt, dass auch bei der Polizei rassistische Motive eine Rolle gespielt haben.
Gegen den alltäglichen Rassismus
Offensichtlich wird dies im Fall der ermordeten Polizistin Michelle Kiesewetter, in deren Polizeieinheit Kollegen beim deutschen Ableger des Ku-Klux-Klan engagiert waren. Entscheidender allerdings war sicherlich der strukturelle und institutionelle Rassismus, der deutschen Behörden seit jeher nachgesagt wird und im Fall der NSU-Mordserie ganz offensichtlich zu Tage getreten ist. Dabei verstört die Erkenntnis der anderthalbjährigen Untersuchungen, dass dieser latente Rassismus auch in den obersten Etagen den Blick nach rechts zumindest getrübt hat.
Deshalb muss eine wesentlich Konsequenz aus diesem Totalversagen der deutschen Sicherheitsstruktur der Kampf gegen den alltäglichen Rassismus in allen Teilen der Gesellschaft sein. Dazu gehört zwingend, dass die Anti-Rassismus-Arbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen nicht länger durch unsichere Finanzierung und andere Hindernisse wie die unsägliche Extremismusklausel beeinträchtigt wird. Vielmehr fordert die Linke in ihrem Sondervotum eine sofortige Verdopplung der Bundesmittel für Antifa-Arbeit auf 50 Millionen Euro.
Unsere Gesellschaft braucht zu allererst Aufklärung über menschenfeindliche Ansichten und rassistisches Gedankengut, um sich dagegen bewusst wappnen zu können.