Alles Opfer – keine Täter?
18. November 2013
Bremer Kulturinstitutionen unterm Hakenkreuz
Wenig Neues im Verlauf der wissenschaftlichen Tagung »Verstrickt. Bremer Kulturinstitutionen unterm Hakenkreuz« im Himmelssaal vom Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Laut Programm sollte nicht nur die Rolle dieses Hauses aufgehellt werden, sondern ebenso die der Nordischen Kunsthochschule, der Kunsthalle, des Paula-Becker-Modersohn-Hauses und des Focke- sowie »Väterkunde«-Museums. 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein überfälliger Schritt, der das Ziel jedoch mehrfach verfehlte. Wissenschaftlich voll überzeugen konnte nur der Vortrag von Dirk Mahsarski über den Bremer Bildungssenator und SS-Oberführer Richard von Hoff. Detailliert schilderte Mahsarski die Rolle des führenden Rassentheoretikers in der Hansestadt. Von Hoff war, um nur ein Beispiel zu geben, die treibende Kraft bei der Gründung der ersten nationalsozialistischen Kunsthochschule in Deutschland, der Nordischen Kunsthochschule.
Im Auftrag der Hochschule für Künste Bremen, so der Name der Lehranstalt heute, erforschte Susen Krüger Saß deren Geschichte. In ihrem Vortrag behandelte sie vor allem Gründung sowie Machtkämpfe innerhalb der Institution. Über den nationalsozialistischen Charakter der Einrichtung sowie über das Verhalten von Studentenschaft und Lehrkörper berichtete Krüger Saß nicht: nicht über Rudolf Hengstenberg, den letzten Direktor der Anstalt, der sich während des Zweiten Weltkriegs einen Namen als Spezialist für Panzerbilder machte, ebenfalls nicht über Ottomar Anton, der u. a. auflagenstarke Plakate für die Waffen-SS machte. Über Ernst Gorsemann, den Leiter der Abteilung für Bildhauerei an der Nordischen Kunsthochschule, sprach der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses Arie Hartog und verschwieg völlig, wie eng Gorsemann mit den Nazis zusammenarbeitete. Für den Entwurf eines Pferdebrunnens, den der Bildhauer für Plätze in zukünftigen »Wehrdörfern« in den eroberten Ostgebieten gestaltet hatte, gewann er den 1. Preis des Reichsführers der SS. Und Hartog erwähnte noch nicht einmal den großen Stellenwert, den der NS-Staat der von Gorsemann 1935 geschaffenen Großplastik »Wisentstier« beimaß, die heute noch im Bremer Rhododendronpark steht, ihren größten Auftritt 1937 auf der Weltausstellung in Paris hatte, wo sie auf dem deutschen Pavillon thronte als Symbol germanischer Kraft und Überlegenheit.
In mehreren Büchern und Aufsätzen hat Kai Artinger gezeigt, wie stark die Bremer Kunsthalle in den NS-Kulturbetrieb eingebunden war. Während Dorothee Hansen als ihre aktuelle, stellvertretende Direktorin erneut das Museum sowie seinen langjährigen Leiter Emil Waldmann vor allem als Opfer des Nationalsozialismus darstellte, belegt Artinger, wie dieser sich anpasste, indem er als Sachverständiger für Kunst aus jüdischem Besitz arbeitete oder mit dem Bremer Bürgermeister, SA-Obergruppenführer Böhmker, im besetzten Amsterdam Kunst »kaufte«.
Auch der Direktor der Kunstsammlungen Böttcherstraße, Frank Laukötter, konnte mit seinen Ausführungen über das Paula-Becker-Modersohn-Haus und das Haus Atlantis nicht punkten, da er – um wieder nur ein Beispiel zu nennen – ein äußerst unvollständiges Bild von Bernhard Hoetger zeichnete, dem Architekten der Straße. Daß dieser 1934 in Rom Mitglied der NSDAP wurde, verschwieg Laukötter, ebenso den brennenden Wunsch des Künstlers, wie Albert Speer ein Architekt der »Bewegung« zu werden. Dem dienten unter anderen Hoetgers Modelle für ein »Deutsches Forum« von 1935, ein Kuppelbau über hakenkreuzförmigem Grundriß, erdacht als riesiger Zweckbau für den NS-Festkalender. Grundlegend für Hoetgers Rolle im Dritten Reich ist das von Maria Anczykowski herausgegebene Buch über den Künstler, grundlegend für das Verständnis der Böttcherstraße die Literatur Arn Strohmeyers. Laukötter wies mit keiner Silbe auf diese Arbeiten hin und wie Hartog und Hansen gab auch er nicht annähernd den aktuellen Forschungsstand seines Themas wieder. Die drei Direktoren missachteten den Grundsatz, bereits vorhandene wissenschaftliche Arbeiten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich mit ihnen auch öffentlich auseinanderzusetzen, das heißt Tatsachen – mögen sie noch so unbequem sein – durch eigene Nachforschungen zu bestätigen oder mit Hilfe neuer Fakten zu widerlegen.