Terror im Erzählkino

geschrieben von Gustav Peinel

18. November 2013

Der Spielfilm »Der blinde Fleck« thematisiert das Oktoberfestattentat

Rechtzeitig zum Jahrestag des ersten großen Terroranschlages in der Bundesrepublik ist ein Film entstanden, der sich sachlich aber auch emotional mit den Leistungen und Fehlleistungen bundesdeutscher Ermittlungsorgane in den 80-er Jahren, einer Zeit erbitterter innen- und außenpolitischer Spannungen, widmet und der an Aktualität nichts verloren hat.

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Der blinde Fleck, Deutschland 2013
Regie: Daniel Harrich, Darsteller: Benno Fürmann, Heiner Lauterbach, Nicolette Krebitz, August Zirner, Jörg Hartmann, Kinostart: 16.1.2014

Das Oktoberfestattentat war ein rechtsterroristischer Anschlag in München. Am 26. September 1980 starben 13 Menschen bei der Explosion einer Bombe am Haupteingang des Oktoberfests, 211 wurden verletzt, 68 davon schwer. Der Anschlag gilt als größter Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ob der von den Behörden als Einzeltäter bezeichnete Bombenleger Gundolf Köhler tatsächlich allein verantwortlich war, ist umstritten. Gundolf Köhler hatte nachweislich Verbindungen zur neonazistischen, paramilitärischen Wehrsportgruppe Hoffmann, und die Behörden ermittelten zunächst im Hinblick auf eine Mittäterschaft rechtsextremer Gruppierungen. Durch politischen Druck aus der Bayrischen Staatskanzlei wurde dieser Ansatz erstaunlich schnell aufgegeben und man präsentierte den neurotischen Einzelgänger als Täter. Damit war die Sache offiziell erledigt – nicht so für den Münchner Journalisten Ulrich Chaussy.

Im Mittelpunkt des Filmes »Der blinde Fleck« steht dieser Ulrich Chaussy. Bei Recherchen über das Oktoberfest-Attentat von 1980 stellt der Journalist (gespielt von Benno Fürmann) fest, dass die Ermittlungen dilettantisch geführt wurden. Er erlebt, wie die überlebenden Opfer des schwersten Anschlags in der Geschichte der Bundesrepublik den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren. Aus einem ersten Radio-Feature wird Chaussys Lebenswerk. Er setzt sich über drei Jahrzehnte mit Ungereimtheiten und eklatanten Widersprüchen auseinander, wird von Freunden und Kollegen als Verschwörungstheoretiker belächelt und spöttisch »Mister Oktoberfest« genannt. Chaussy stößt auf immer mehr skandalöse Versäumnisse und Vertuschungen der ermittelnden Behörden. Noch heute liegen fast 900 Akten unter Verschluss beim bayerischen Landeskriminalamt, andere Beweisstücke wurden wohl nach Ablauf der gesetzlichen Frist zur Aufbewahrung planmäßig vernichtet.

Am 17. September 2013 lief der Film im Rahmen der Leipziger Filmkunstmesse im Passagekino zu bester Zeit unter Anwesenheit des Regisseurs Daniel Harrich mit seinem Partner Ulrich Chaussy und den beiden Hauptdarstellern Benno Fürmann und Nicolette Krebitz. Auch sonst ist der Film hochkarätig besetzt: Heiner Lauterbach, Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, August Zirner, Jörg Hartmann.

Das Thema besitzt gerade jetzt eine besondere Attraktivität, da in München der Prozess gegen die Terrorzelle des Nationalsozialistischen Untergrunds läuft. Den Filmemachern muss man seherische Fähigkeiten bescheinigen: Das Projekt wurde in Angriff genommen, als die fremdenfeindlichen Anschläge noch unter »Dönermorde« liefen. Wie im Gespräch mit den anwesenden Akteuren im Anschluss an die Filmvorführung berichtet wurde, war ursprünglich eine Dokumentation über die skandalösen (Nicht-) Ermittlungen zum Oktoberfestattentat geplant, später hat man sich dann für die Spielfilmvariante entschieden – zum Glück. Mit dieser Form ist es besser möglich, ein breiteres Publikum zu erreichen, und die Story tut das Ihrige dazu: Der Weg des Journalisten zum »Mister Oktoberfest« wird begleitet von einer Beziehungsgeschichte, eine liebevolle Darstellung der Ehe des Protagonisten Chaussy: Hinter jedem starken Mann steckt auch eine starke Frau – die auch mal schwach werden kann (in jeder Beziehung). Aus Angst um den Mann, die Beziehung, und das ungeborene Kind. Das ist bestes Erzählkino mit erstklassiger politischer Aufklärung, dem man einen herausragenden Platz in Kinoprogrammen und eine gute Platzierung in den Abendprogrammen des öffentlich rechtlichen Fernsehens wünscht. In diesem Fall wäre das Zwangssponsoring bestens eingesetzt!

Vielleicht war die Wahl des Titels »Der blinde Fleck« nicht ganz glücklich: Unter dem gleichen Titel gibt es bereits einen deutschen Krimi von 2008 und wer im Internet recherchiert, kann schnell dort landen.