Selbstgerechte Heuchelei

geschrieben von Heike Schrader

21. November 2013

Der griechische Staat und die Mörderbande Chrysi Avgi

 

Es brauchte den Mord an einem »echten Griechen«, bevor der Staatsapparat tätig wurde. Nun aber sitzen der Generalsekretär und Fraktionsvorsitzende der neofaschistischen Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung), Nikos Michaloliakos, sein Parlamentskollege Giannis Lagos und eine Reihe Parteifunktionäre in Untersuchungshaft. Ebenso der ausführende Täter, der in der griechischen Hafenstadt Piräus in der Nacht zum 18. September den 34jährigen Antifaschisten und Rapper Pavlos Fyssas mit Messerstichen in Herz und Bauch ermordet hat.

Gedenkanzeige für den ermordeten Antifaschisten und Rapper Pavlos Fyssas.

Gedenkanzeige für den ermordeten Antifaschisten und Rapper Pavlos Fyssas.

Seitdem überschlagen sich Starjournalisten und (Spitzen-) Politiker mit Bekenntnissen zum aktiven Antifaschismus. Und fallen aus allen Wolken, wenn täglich »neue« Informationen über die Gräueltaten und paramilitärischen Strukturen der Nazibande bekannt werden, weil immer mehr ehemalige und aktive Mitglieder der Chrysi Avgi die Chance nutzen, sich mit Aussagen vor dem ermittelnden Richter ins Zeugenschutzprogramm zu flüchten und damit auch die Gefahr zu minimieren, wegen einer eventuellen eigenen Beteiligung an früheren Angriffen gegen Migranten, Linke, Homosexuelle oder schlicht Andersdenkende zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Es ist schon einigermaßen widerlich, mitanzusehen, wie Chefkommentatoren der meinungsbildenden privaten Fernsehkanäle nun die selben Neofaschisten (vor-)verurteilen, die sie bis vor dem Mord an Fyssas noch als authentische, wenn auch etwas extreme Stimme des Volkes in ihren Nachrichtensendungen und Talkshows hofierten. So als hätten die Experten für Informationsbeschaffung und Verarbeitung nicht gewusst, was sie taten, als sie die zahlreichen, mit Toten und Verletzten endenden Angriffe der neofaschistischen Schlägerbanden auf Migranten verschwiegen oder die These von Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Ausländerbanden verbreiteten. Die jetzt im Brustton der selbstgerechten Überzeugung von der Überlegenheit des Rechtsstaates schwafeln, wenn Untersuchungen in Polizeirevieren zur Suspendierung von Beamten führen, die mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht haben. Die aber jahrelang systematisch Fotodokumente und Zeugenaussagen ignorierten, die die Messerstecher und Knüppelschwinger in Begleitung von Beamten der Bereitschaftspolizei bei der Jagd auf antifaschistische Demonstranten zeigten.

Ebenso widerlich die Heuchelei der hohen Politik. Die selbe Regierung, die vor kurzem noch eine Gesetzesinitiative zurückzog, mit der rassistische Straftaten als solche besser zu verfolgen gewesen wären, brüstet sich jetzt damit, der neofaschistischen Gefahr ihren Stachel gezogen zu haben. Und setzt gleichzeitig ihre institutionell rassistische Politik fort, mit Massenrazzien gegen dunkelhäutige oder irgendwie als Ausländer erkennbare Menschen, mit der Verweigerung der griechischen Staatsbürgerschaft für im Lande geborene Kinder von Migranten, im Versuch, die Stimmen der als Protestwähler verharmlosten Nazianhänger durch Übernahme der um ihrer brutal blutigen Spitzen entschärften Politik der authentischen Hitlerverehrer einzusammeln.

Dimitris Psarras »Chrysi Avgi«, Laika Verlag Hamburg. Erscheint im Dezember 2013.

Dimitris Psarras »Chrysi Avgi«, Laika Verlag Hamburg. Erscheint im Dezember 2013.

Gleichzeitig wird die Chance genutzt, mit Hilfe der auch in Griechenland breitgetretenen Mär von den beiden Extremen, die eben noch gegen die menschenverachtenden Neonazis gezogenen Waffen auf den eigentlichen Gegner zu richten. Noch ist nicht einmal die Anklage gegen die etwa 40 der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verdächtigten Nazikader fertig gestellt, da werden mit der selben Beschuldigung auch schon etwa 20 Aktivisten aus dem Widerstand gegen den privatwirtschaftlichen und eine ganze Region zerstörenden Goldabbau in Nordgriechenland kriminalisiert.

Nicht nur widerlich, sondern auch erschreckend aber ist es, dass sich die Zahl der Menschen, die der menschenverachtenden Partei ihre Stimme geben würden, auch nach der öffentlichen Anprangerung ihrer Gräueltaten nicht wesentlich verändert hat. Zwar ist die Chrysi Avgi in allen Umfragen nach dem Mord an Fyssas von früheren Werten von bis zu 15 Prozent auf etwa 7 Prozent zurückgefallen. Dies entspricht aber ziemlich genau der Stimmenzahl, die ihnen bei den Wahlen im vergangenen Jahr 18 Abgeordnete und den erforderlichen Rückhalt beschert hatte, um mit der nun gezeigten Brutalität und Offenheit gegen alle »Untermenschen« zuzuschlagen. Was zeigt, dass die griechischen Neofaschisten über fast eine halbe Million Anhänger verfügen, die genau wissen, welcher Ideologie sie ihre Stimme – und eventuell auch mehr – geben.