Strafrecht in Deutschland
13. Januar 2014
Juristisch-Biographisches über das Wirken Fritz Bauers
50 Jahre nach dem Beginn des ersten Auschwitzprozesses ist es ein guter Anlass, der Lebensleistung Fritz Bauers (1904 – 1968) zu gedenken. Ronen Steinke hat dazu mit dieser einfühlsamen Biographie eine materialreiche Grundlage geschaffen. In ihr geht es natürlich nicht nur um den Werdegang des Strafrechtlers und Rechtspolitikers. Er wird immer als Teil einer konfliktreichen menschlichen Entwicklung beleuchtet. Insofern mag die Überschrift dieser Besprechung verkürzt erscheinen. Zu deren Rechtfertigung soll deshalb die Feststellung dienen, die Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, im Vorwort zu dem Band getroffen hat: »Nie geschieht Recht von selbst. Stets ist es angewiesen auf Persönlichkeiten, die seine Verwirklichung zu ihrer Sache machen.« Von den prägenden Elementen und Etappen der Persönlichkeit Fritz Bauers handelt dieses Buch.
Da sind zunächst die Studienjahre an Universitäten, deren Studentenschaft von zunehmend antisemitischen Verbindungen dominiert wurde. Er schloss sich in Heidelberg der »Freien Wissenschaftlichen Vereinigung« an, einer liberalen und überkonfessionellen Verbindung, in der sich jedoch schon wegen des andernorts bereits praktizierten »Arierparagraphen« vorwiegend Juden zusammenfanden. Sie bekannte sich jedoch explizit zum »Deutschtum« und grenzte sich von zionistisch orientierten Vereinigungen ab.
Seine rechtstheoretischen Überzeugungen orientierten sich früh an denen des Rechtsphilosophen und zeitweiligen Reichsjustizministers Gustav Radbruch und dessen Lehrer Franz v. Liszt: Weg von dem noch von Kant und Hegel vertretenen Sühneprinzip hin zu einem auf Prävention und Besserung gerichteten Strafrecht. Seine Dissertation handelt allerdings von der Rechtfertigung der wachsenden großindustriellen Zusammenschlüsse, was ihm eine glänzende Karriere als Wirtschafsjurist ermöglicht hätte. Jahre später wird er dazu einen dezidiert entgegengesetzten Standpunkt einnehmen. Aber schon damals zog er den Beruf eines Jugend- und Strafrichters am Amtsgericht Stuttgart vor, aus dem er dann 1933 vertrieben wurde.
Wesentlich für ihn war auch der aktive Einsatz zur Verteidigung der Republik im Reichsbanner an der Seite vom Kurt Schumacher. Die Niederlage in diesem Kampf brachte beiden Haft und Misshandlung im KZ ein. Während Schumacher bis zum Untergang des Faschismus inhaftiert blieb, unterschrieb Bauer eine demütigende Unterwerfungserklärung, die ihm die Entlassung und später das Exil in Skandinavien ermöglichte. Seine und seiner Familie Geschichte der Verfolgung, Entrechtung, Enteignung und Vertreibung festigen zwar seinen Antifaschismus. Der von interessierter Seite vorgebrachte Vorwurf eines Rachefeldzugs bei der Verfolgung von Nazi-Verbrechen prallte jedoch von seiner souveränen Persönlichkeit ab.
Auch sein konsequenter Einsatz für ein humanes Sexualstrafrecht war prinzipieller Natur – unbeschadet seiner persönlichen Betroffenheit: Seine Versuche, seine gleichgeschlechtlichen Neigungen im dänischen Exil zu leben, brachten ihm als Ausländer polizeiliche Verfolgungen ein, obwohl dies nach dortigem Recht nicht illegal war. Als hessischer Generalstaatsanwalt nahm er allerdings keinen Einfluss auf einschlägige Verfahren. Seine Prioritäten galten dem Auschwitzprozess. (Die Strafrechtsreform von 1969 wird er dann nicht mehr erleben.)
Der an Hindernissen reiche Weg aus dem Exil zurück in den Justizdienst wird von Steinke ausführlich geschildert. Zwar suchten die Verantwortlichen der Alliierten nach unbelasteten Juristen, seine jüdische Herkunft galt ihnen zunächst jedoch als »inopportun« – besonders schmerzlich für jemand, der sich immer als deutscher Patriot definiert hatte und sich später nur noch als »Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze« bezeichnete. Als er schließlich doch in verantwortliche Positionen berufen wurde, war die Durchsetzung des Justizapparats mit alten Nazijuristen bereits weit fortgeschritten. Sich dagegen zu behaupten, war die Hauptlast seiner weiteren Arbeit.
Breiten Raum nimmt bei Steinke die Frage ein, wie der Strafanspruch gegen die NS-Täter mit Bauers rechtspolitischer Position der Vorbeugung vereinbar sei: In allen großen NS-Prozessen steht für ihn nicht so sehr die Bestrafung der Täter im Vordergrund, wichtiger ist die öffentliche Beleuchtung des verbrecherischen Systems: Als Generalstaatsanwalt in Braunschweig führt er den Prozess gegen Otto Ernst Remer wegen Verunglimpfung der Widerstandskämpfer vom 20. Juli als »Verräter«. Er arbeitet dabei heraus, dass Widerstand gegen das von Anfang an illegale NS-System Pflicht gewesen sei. Es hätte keinerlei Anspruch auf Loyalität besessen. Zur Ergreifung Eichmanns durch Israel leistet er einen wesentlichen Beitrag in der Erwartung, durch den Prozess das verbrecherische Mordsystem vor die Weltöffentlichkeit zu bringen. Im Auschwitzprozess stellt er »22 Angeklagte für 20 Millionen Deutsche« vor Gericht. Aufklärung über das mörderische Lagersystem ist das Anliegen, eine präventive Absicht also!