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13. Mai 2014
120 Seiten Geschichte des Antifaschismus
Ulrich Schneider, dem langjährigen Aktivisten der VVN-BdA und der FIR, ist es in seinem neuen Bändchen »Antifaschismus« in der Reihe Basiswissen des Papy Rossa Verlages gelungen, eine übersichtliche kleine Geschichte des Antifaschismus und seiner wichtigsten Protagonistinnen und Organisationen in Deutschland zu schreiben. Dreh- und Angelpunkt des Buches ist der Schwur der befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald vom 19. April 1945. Der Schwur bekräftigte in französischer, russischer, polnischer, englischer und deutscher Sprache »die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln« und den »Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit« und forderte, den Kampf erst einzustellen »wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!«. Bedauerlicherweise gibt der Autor nicht den vollständigen Text wieder, der Dank der Häftlinge an den kurz zuvor verstorbenen US-Präsidenten F. D. Roosevelt fehlt.
Ansonsten fehlt wenig in dem Büchlein, auch nicht der Hinweis, es am besten zusammen mit dem Band »Faschismus« aus der gleichen Reihe des Verlags zu lesen, da für die ausführliche inhaltliche Beschäftigung mit dem Gegner auf 120 Seiten der Platz fehlt.
Das Buch ist in drei übersichtliche und gut zu lesende Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Zeitraum von 1923 bis1945, handelt also vom Aufkommen des Faschismus in Italien, Deutschland und Europa bis zur endgültigen militärischen Zerschlagung des Faschismus und der Befreiung der überlebenden Opfer. Es erzählt von den Schwierigkeiten, die neue faschistische Bewegung zu verstehen und gegen sie einen breiten, über Partei-, Organisations- und ideologische Grenzen reichenden Widerstand zu organisieren. Auch der internationale und internationalistische Aspekt von Widerstand und Verfolgung wird ausführlich gewürdigt.
Das zweite Kapitel führt uns über den »Neuanfang« 1945, den Aufbau der neuen Organisationen der Antifaschistinnen, allen voran natürlich der VVN, zu den Zerreißproben, denen der deutsche und europäische Antifaschismus im Kalten Krieg in Ost und West ausgesetzt war, bis zum partiellen Zerbrechen ihrer Einheit. Er beschreibt Antifaschismus als wichtigen Orientierungspunkt der nachgeborenen Generationen, den Kampf gegen die Restauration und Rehabilitation der alten Eliten des NS-Staates, den Kampf um die Entschädigung der Opfer und die konsequente Bestrafung der Täter. Wir erfahren über die Kämpfe und Aktionen gegen alte und neue Nazis, die 1964 neugegründete NPD (so alt ist die Forderung der VVN für das Verbot der NPD), von beeindruckenden Großdemonstrationen gegen die Veteranen-Aufmärsche der Waffen-SS in Deutschland und Europa. Der entscheidende Anteil der Antifaschisten im Kampf um den Frieden innerhalb der Kampagnen gegen die Wiederaufrüstung und in der Friedensbewegung der 70iger und achtziger Jahre wird gewürdigt. Und auch die Reibungen mit den militanten antifaschistischen Aktionen der »neuen Linken« gegen Neonazis finden ihren Platz. Ergänzt wird das Kapitel durch einen knappen aber wichtigen Exkurs zum (staatlichen) Antifaschismus in der DDR.
Das dritte Kapitel beginnt 1990 und beschreibt das Bemühen und die Erfolge antifaschistischer Erinnerungspolitik und das Ringen um neue Wege, das Erbe der antifaschistischen Zeitzeuginnen weiterzutragen. Es vermerkt das Entstehen neuer antifaschistischer Organisationsformen, z.B. aus dem unabhängigen »autonomen« Antifa- Spektrum, wie den Versuch einer bundesweiten Organisierung durch die AA/ BO oder das BAT, und versucht auch eine Annäherung an deren Theoriebildung. Es beleuchtet die neue Situation für Antifaschistinnen durch den nach der »Wiedervereinigung« aufkommenden überbordendem Nationalismus, Rassismus und Neofaschismus. Dabei bleiben dem Autor aber die meist jüngeren Protagonistinnen und neu entstehenden Institutionen und Gruppen und deren Diskussionen (Triple Opression) leider etwas fremd. Hier hätte er sich vielleicht Unterstützung holen sollen. Auch der spontane jugendliche Widerstand, z.B. der Edelweißpiraten oder der jungen Jüdinnen und Juden um Herbert Baum während des NS, aber auch die zahlreichen Antifa-Gruppen, die nach 1990 nicht nur in der ehemaligen DDR als wichtigste linke politische (Selbstschutz) Organisationen für Jugendliche in fast jedem Dorf entstanden und sicher mit dafür gesorgt haben, dass die Neonazis zurückgedrängt wurden, bleiben unterbelichtet. Und bitte, lieber Uli, nenne in der nächsten Auflage die »neuen« Antifa-Archive beim Namen, wir brauchen z.B. das apabiz in Berlin und AIDA in München wirklich sehr. Zuletzt hätte ich mir auch ein ausführlicheres nach Themen geordnetes Literaturverzeichnis zum »Weiterlesen« gewünscht, denn darauf macht das Buch wirklich neugierig.
Fazit: Das Büchlein gehört auf jeden (VVN-BdA) Infotisch.