Wir lassen die Arme nicht sinken
14. Mai 2014
Gespräch mit Marília Morais Villaverde Cabral über die Nelkenrevolution in Portugal
Ivo Serra: Marília, erzähle uns, wie war jener Tag, der 25. April vor 40 Jahren
Marília Cabral: Vom 25.April zu sprechen ist zugleich leicht und schwer. Leicht, weil wir wissen, was durch den Kampf des Volkes im Bündnis mit der Bewegung der Streitkräfte errungen wurde. Schwer, weil, wer diese Zeit erlebt hat, das Gefühl so großer Freude den neuen Generationen nicht wahrheitsgetreu zu vermitteln vermag. Auf den Straßen wurden Unbekannte zu Freunden, Freunde zu Brüdern. Es war eine Zeit der Tränen, der Umarmungen mit denen, die aus dem Exil zurückkehrten und denen, die aus den Gefängnissen kamen. In jeder Fabrik, an jedem Ort, wo darum gekämpft wurde, das zu erreichen, was man uns jahrelang vorenthalten hatte, war der allgegenwärtige Ruf zu hören » O Povo Unido jamais será vencido!« (Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden). Grândola Vila Morena wurde gesungen, aber jeden Augenblick entstanden immer mehr Lieder. Sogar der Fado war nicht mehr das, was er gewesen war und Ary dos Santos sagte in seinem »Fado Alegre«: »Irgendwann lassen wir die wehmütige Erinnerung und die Tränen zurück und mit einem anderen Fado werden wir im Leben da draußen vom bisherigen Weg abkommen.« Doch der 25. April war viel mehr als das, was ich gesagt habe. Es war eine Zeit übergroßen Glücks. Er war der Morgen, den wir im Kampf für die Freiheit, gegen die Not, gegen die Zensur, gegen den Kolonialkrieg erwarteten. Er war der Morgen, den wir im Kampf dafür erwarteten, dass die Männer und Frauen aus den Gefängnissen kämen, wo sie – oft bis zum Tode – gefoltert wurden.
Ivo Serra: Wie war das Leben vorher?
Marília Cabral: Man durchlebte harte Zeiten, es waren Zeiten der massenhaften Emigration – mehr als anderthalb Millionen Portugiesen gingen in verschiedene europäische Länder. Es waren Zeiten, die unsere Jugend in die Ferne schickten, wo sie in einem Krieg kämpfen sollte, der nicht der ihre war. Der Kolonialkrieg hinterließ über 10.000 Tote, über 30.000 Verwundete und viele Tausende Opfer unter den Völkern der ehemaligen Kolonien. Es waren Zeiten, in denen Werke von Schriftstellern, Dichtern und Künstlern nicht erscheinen konnten.
Das faschistische Regime, das durch die Macht der großen, mit dem Auslandskapital verbündeten Gruppen der Monopole und Großgrundbesitzer getragen wurde, gründete sich auf eine brutale Ausbeutung der Werktätigen und beruhte auf einer großen ökonomischen und sozialen Rückständigkeit, die dazu führte, dass Portugal zum rückständigsten Land Europas wurde.
Ivo Serra: Und was brachte der 25. April?
Marília Cabral: Die Aprilrevolution öffnete Türen für einen Befreiungsprozess, der – das Volk und die Bewegung der Streitkräfte vereinend – große Transformationen in unserem Land auslöste wie die Nationalisierung von grundlegenden und strategischen Sektoren der Wirtschaft, die Bodenreform und die Unterstützung für die kleineren und mittleren Bauern, Händler und Industrieunternehmer. Die Revolution sanktionierte Rechte der Werktätigen: auf Streik, auf Tarifverträge, auf Gewerkschaftsfreiheit, auf Mindestlohn, auf Arbeitslosenunterstützung, auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Revolution proklamierte das Recht auf Gesundheit, auf Bildung, auf die allgemeine Einführung von Renten und Pensionen, die Rechte der Frauen und der Jugend. Die Revolution brachte die Kultur voran und förderte die Alphabetisierung. Die Nelkenrevolution machte ein trauriges und aschgraues Land hell und glücklich.
Ivo Serra: Und was bedeutet Dir der 25. April heute?
Marília Cabral: Des April zu gedenken ist eine Form des Kampfes und des Widerstands, eine Demonstration, dass das Volk eine Änderung der Politik fordert, um dieser unerträglichen Verschlechterung der Lebensbedingungen der Millionen von Werktätigen, der Rentner und Pensionäre sowie der Jugend, die sieht, dass ihr Land ihr die Türen zur Zukunft verschließt, ein Ende zu setzen.
Ivo Serra: Wie empfindest Du den Widerstand der Portugiesen gegen die gegenwärtige Austeritätspolitik?
Marília Cabral: Der Weg ist sehr schwer. Aber die Antwort der Werktätigen und der Bevölkerung hat sich im ganzen Land bemerkbar gemacht: Die Kundgebungen gegen die Verarmung des Volkes, die vielfältigen kleinen und mittleren Kämpfe vor den Betrieben zur Verteidigung der Arbeitsplätze, gegen die Schließung von Gesundheitszentren, Schulen und Dienstleistungseinrichtungen im allgemeinen zeigen trotz vieler Schwierigkeiten, dass jemand da ist, der nicht aufgibt und die Arme nicht sinken lässt. Gerade in diesen Situationen ist die Einheit all jener so notwendig, die angesichts dieser ungeheuren Offensive nicht resignieren. Mit ihrer Einheit und der Kraft des Volkes muss der April siegen.