Im Dienst des Antifaschismus

geschrieben von Michael Landmann

11. September 2014

Zum 110ten Geburtstag von Jürgen Kuczynski

Viele kennen ihn als außerordentlich produktiven Wirtschaftswissenschaftler und Historiker, mehrfach nominiert für den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften (zuletzt 1988), als »letzten Universalgelehrten der deutschen Sozialwissenschaften«, als Weltenbürger, bekennenden Marxisten, »hoffnungslosen Optimisten und linientreuen Dissidenten« (Selbstbeschreibung), als streitbaren Denker, Briefeschreiber an seine Urenkel und Autoren witziger Anekdoten, auch als Politiker und »Deutschen jüdischer Herkunft« – Jürgen Kuczynski (17.09.1904 – 06.08.1997). Vergleichsweise selten wird über ihn als einen Antifaschisten gesprochen. 20100621-content.800 Seine wissenschaftliche und publizistische Arbeit während der Weimarer Republik war eng mit dem auf die Verhinderung des Faschismus und eines neuen Krieges gerichteten politischen Kampf der KPD verbunden, deren Mitglied er 1930 geworden war. Er arbeitete in deren Informationsabteilung und als Redakteur der »Roten Fahne«, half antifaschistische Demonstrationen zu organisieren, erarbeitete wirtschaftspolitische Analysen, auch für die sowjetische Botschaft. J. K. und seine Frau entschlossen sich im Februar/ März 1933, den Eltern nicht in die Emigration zu folgen, sondern sich am antifaschistischen Widerstand in Deutschland zu beteiligen. Es folgten fast drei Jahre zunächst noch legaler, dann illegaler Arbeit, angefüllt mit analytischer Arbeit zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im Lande für die Reichsleitung der KPD, sowjetische Institutionen und eigene Veröffentlichungen, mit der Herstellung von Propagandamaterial, dem Verfassen von Zeitungsartikeln, immer wieder bedroht von Hausdurchsuchungen und Inhaftierung. In diese Zeit fiel aber auch eine Reise in die Sowjetunion (1935), die bestehende wissenschaftliche und politische Kontakte zu sowjetischen Institutionen vertiefen half. Schließlich wurde im Januar 1936 eine Emigration unumgänglich. Das Ziel: England. Hier setzte J.K. seine antifaschistische Arbeit unmittelbar fort. Als Politischer Leiter organisierte er den Zusammenhalt und die Arbeit der Genossen vor Ort, unterhielt regelmäßige Kontakte zur Parteiführung in Paris, traf sich dort auch mit anderen deutschen Emigranten zum Gedankenaustausch. Als international bereits bekannter Wissenschaftler war es ihm möglich, im Rahmen der Volksfrontpolitik Verbindungen zu sozialdemokratischen Gruppen in England, Gewerkschaftsorganisationen, der aus Vertretern unterschiedlicher bürgerlicher Schichten gebildeten »Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler« und dem von der Kommunistischen Partei initiierten, aber überparteilich wirkenden »Freien Deutschen Kulturbund«, einer Vereinigung emigrierter Kunstschaffender, herzustellen und auch deren Arbeit publizistisch und durch Vorträge zu unterstützen. Kuczynski arbeitete für den Freiheitssender 29,8, für den er dank seiner internationalen Kontakte auch finanzielle Mittel beschaffte. Er unterstützte politisch die Gruppe um Winston Churchill, die im Unterschied zu anderen Interessengruppen innerhalb der englischen herrschenden Klasse konträr zum Hitler-Regime stand. Nach Ausbruch des Krieges interniert, führte er auch unter diesen Bedingungen seine politische Arbeit unter den internierten deutschen Nazi-Anhängern fort. Er kam durch Intervention amerikanischer Prominenter frei. 1942 meldete sich der als »Atom-Spion« bekanntgewordene Klaus Fuchs aus der Schweiz kommend bei Kuczynski und berichtete von der Arbeit an der neuen verheerenden Waffe. J.K. stellte daraufhin den Kontakt zu seiner Schwester (Ruth Werner) her, die für den militärischen Nachrichtendienst der Sowjetunion arbeitete. Ende 1944 zog die US-Regierung pragmatisch Experten zusammen, unabhängig von deren politischen Bekenntnissen. Das KPD-Mitglied -Kuczynski landete so im Range eines Oberst beim United States Strategic Bombing Survey, beauftragt mit der Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen der alliierten Bombenangriffe und der Aufklärung der Rüstungsproduktion Deutschlands, unter anderem durch Sicherstellung entsprechender Dokumente in Deutschland, wo er noch vor Kriegsende zum Einsatz kam. In Heidelberg nahm er persönlich den I.G.-Farben-Chef Hermann Schmitz fest. Nach der Befreiung beteiligte sich J.K. sofort am antifaschistischen Wiederaufbau – im Juli 1945 hatte ihn der Chef der SMAD zum Präsidenten der Zentralverwaltung für Finanzen ernannt (wovon er auf der Rückfahrt nach London über den Berliner Rundfunk erfuhr). Für den Nebenkläger im Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1964, F. K. Kaul, erarbeitete J.K. ein Gutachten über das Zusammenwirken von SS und I.G. Farben beim Aufbau und Betrieb dieses Massenvernichtungslagers und die treibende Rolle des Chemiekonzerns. Das Gutachten wurde seinerzeit mit der Begründung nicht zugelassen, als »von der Sowjetischen Besatzungszone bezahlter Professor« bewege er sich innerhalb der »Grundsätze der kommunistischen SED«, seine wissenschaftliche Methode sei für die Bundesrepublik suspekt.