Leserbrief: Eindrücke aus Israel

geschrieben von Margalith Pozniak, Hamburg (in Israel geboren und aufgewachsen)

15. September 2014

Wie ich das Land vor dem Gazakrieg erlebte

 

Im Mai diesen Jahres habe ich wieder meine Familie besucht, mein Vater und meine Schwester wohnen in einem Kibbuz auf den Karmel-Bergen. Die ersten Tage dort waren erst der Erinnerungstag für die Jüdischen Opfer des 2. Weltkriegs, der Tag danach war der Unabhängigkeitstag von 1948.

Meine Schwester und ihr Mann haben das ganze Haus und die Terrasse mit israelischen Fahnen geschmückt. Im Fernsehen hat man 3 Tage lang die Armee, Heldentaten von Soldaten und die Eroberung Palästinas sowie das ganze Arsenal von modernen Waffen und deren Wirkung gegen den Feind gezeigt. Für mich war das eine Qual; ich hatte das Gefühl, dass Israel nur aus Waffen und Militär besteht. Natürlich gibt es auch das andere Leben dort, es lag für mich aber zuviel Nationalismus in der Luft.

Nach paar Tagen bin ich nach Jerusalem gefahren. Dort habe ich einen Bekannten aus meiner Jugendzeit in Israel besucht. Er ist Rechtsanwalt und Richter geworden. Er holte mich am Bus- Bahnhof ab und wir fuhren zu seinem Haus. Ich habe gemerkt, dass es ziemlich weit war und habe ihn gefragt, wo er wohnt. Er sagte: »Pisgat seev«; ich wusste, dass dieser Ort eine Siedlung in Ost- Jerusalem ist. Die Siedlung ist sehr groß, hat eine Einkaufsstraße und eine Straßenbahn, die vom Zentrum Jerusalems bis in diese Siedlung führt. Pisgat seev war vorher ein palästinensischer Ort mit Namen Ras a-Tawill. Mein Bekannter sagte zu mir: »nein, das gehört zu Israel«, obwohl ich rund herum arabischen Häuser gesehen habe. Das kann man erkennen, weil die arabischen Häuser auf den Dach schwarze Wasserbehälter und die israelischen Häuser weiße haben. Wieder erklärte er mir, dass die Araber kein Wasser von Israel haben wollen. Sie müssen für teures Geld das Wasser kaufen, und das wollen sie nicht, sie wollen das Wasser von der palästinensischen Behörde haben. Es stimmt, dass alle wenig Wasser haben. Er hat in seinem Garten Kunstrasen und nur zwei Obstbäume, die nicht viel Wasser brauchen; auch in Haushalt sparen sie Wasser.

Nachmittags hatte er mich durch die Mauer auf die arabische Seite gefahren. Wir konnten eine Straße nur für Israelis passieren ohne zu stoppen. Die Palästinenser haben andere Straße, wo sie nicht einfach durchfahren können. Sie werden von der Armee stark kontrolliert. Wir sind in einen Falafel-Laden gegangen, einen Meter vor der Mauer und dort haben wir Falafel gegessen. Ich wollte Fragen stellen, aber es ging nicht. Ich sagte nur, dass ich das schlimm finde, diese acht Meter hohe Mauer und noch Stacheldraht oben drauf. Er sagte: »Das ist gut so, da haben wir weniger Selbstmord-Attentäter«.

Wir sind kurz weiter gefahren und in eine Einkaufsstraße gekommen, wo richtig schöne Läden waren und ein riesiger Supermarkt mit allem, was das Herz begehrt. Wir waren die einzigen Israelis. Er ist in einen Laden reingegangen um leckere Lebensmittel zu kaufen für das Abendessen, er sprach perfekt Arabisch. Ich habe gemerkt, dass der Verkäufer nicht so begeistert war von uns. In Kürze: Mein Bekannter wollte mir zeigen wie gut es die Palästinenser haben. Es stimmt, dass es auch Reiche gibt, und dass sie in Israel bleiben wollen. Ein paar Meter weiter war aber ein palästinensisches Lager, das sehr verkommen aussah. Ich wollte da rein gehen, er sagte: »Wir können da nicht rein, denn sie werden uns dort schlachten«. Es ist alles so nah beieinander, kaum zu glauben.

Ich habe meine Meinung nicht geäußert. Es hat keinen Zweck, denn er glaubt wirklich, dass Israel im Recht ist. Für die meisten Israelis sind die Araber und Muslime ganz allgemein alle Terroristen, die die Welt erobern möchten. Israelis merken gar nicht mehr, dass sie rassistische Sprüche von sich geben wie: Ein guter Araber ist nur ein toter Araber, oder Tod den Arabern und noch mehr.

Was ich noch schlimm fand, ist, dass die Orthodoxen zugenommen haben. Man sieht sie überall, sogar in Orten wo vor ein paar Jahren keine waren.

Es gibt aber auch Menschen, die für Frieden sind und gegen die Regierung Netanjahu und gegen den zugenommenen Rassismus und den Krieg kämpfen. Es gibt sogar Rabbiner für Frieden. Es gibt Soldaten, die von schrecklichen Erlebnissen erzählen oder eine Gruppe von palästinensischen und israelischen Familien, die Angehörige verloren haben und gemeinsam gegen Krieg sind. Leider sind die meisten Israelis gegen sie. Die sind blind und wollen auch nichts wissen. Sie haben kein Mitgefühl außer mit sich selbst.

Ich muss sagen, dass ich dieses Mal keinen guten Eindruck gewonnen habe. Rassismus wächst auch gegen Flüchtlinge aus dem Sudan und gegen andere Minderheiten, die nach Israel gekommen sind. Die Religion ist groß geworden, das Leben ist schwer. Es gibt viele junge Familien, die nicht mehr mit ihrem Geld auskommen und viele Schulden haben, die die Eltern für Sie bezahlen müssen, sogar für Essen. Es gibt auch sehr reiche Menschen, das Land hat einen hohen technologischen Lebensstandard. Das Land ist voller Gegensätze.