Kalte Abschiebung

geschrieben von Markus Roth

23. September 2014

Über den Umgang mit den streikenden Flüchtlingen in Berlin

 

Der Berliner Senat hat versucht, sich der protestierenden Flüchtlinge auf dem Oranienplatz und der seit über einem Jahr besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule mit dem sogenannten »Oranienplatz-Agreement« zu entledigen. Die Blockaden und Besetzungen durch rund 500 Flüchtlinge, die aus anderen Bundesländern und aus Italien (Lampedusa) nach Berlin gekommen waren, sollten aufgegeben werden – im Gegenzug versprach der Senat ordentliche Unterkünfte, die »wohlwollende« Einzelfallprüfung der Asylanträge und sogar die Prüfung, ob das strikte Arbeitsverbot teilweise aufzuheben ist. Unter anderem wollte der Senat dafür die Asylanträge aus anderen Bundesländern nach Berlin holen und ein Bleiberecht aus humanitären Gründen erwägen. Eine Einigung, die Berlin gut zu Gesicht gestanden und letztlich auch die Stimmung in der Berliner Bevölkerung aufgenommen hätte. Die hatte sich nämlich massenhaft an den Besetzungen als »Support« beteiligt, nächtelang Straßenkreuzungen besetzt und die protestierenden Flüchtlinge mit vielfältigen Spenden unterstützt.

 

Zerschlagung durch Wortbruch

Nur wenige Wochen nach der Einigung, nachdem die Streikenden ihren Teil der Abmachung erfüllt haben, ist der Berliner Senat wortbrüchig geworden. Bis auf einige wenige Flüchtlinge, die derzeit noch ein Dach eines Hostels in Bezirk Friedrichshain besetzt halten, scheint das perfide Spiel aufgegangen zu sein. Der Flüchtlingsprotest wurde zerschlagen, in kleinere Gruppen aufgegliedert, dezentral untergebracht und mit gezielter Desinformationen in Missgunst, Streit und schiere Panik versetzt. Diejenigen, die zum Teil seit Jahren auf dem Weg sind in ein besseres Leben, die sich (und meist auch ihre Familien) irgendwie durchschlagen und zum Spielball europäischer Abschottungspolitik geworden sind, wurden erneut von Behörden getäuscht und erniedrigt. Ja, der Konflikt mit den verzweifelt streikenden Flüchtlingen wurde offenkundig befriedet – mit unlauteren Mitteln und falschen Hoffnungen »bereinigt«. Aber zu welchem Preis – oder besser, mit welchen Folgeschäden, nicht nur für die Menschen, die hier ausgegrenzt wurden, sondern auch für unsere Gesellschaft, die sich solche Eskalation menschlichen Leids leistet?

 

Sofortige Obdachlosigkeit

Ende August teilte das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) mit, es werde mit sofortiger Wirkung alle Leistungen für die Flüchtlinge des »Oranienplatz-Agreements« einstellen. Deren aufenthaltsrechtliche Prüfung sei negativ abgeschlossen. Die zugewiesenen Unterkünfte seien sofort zu verlassen.

Die Flüchtlinge selbst wurden lediglich mündlich informiert und faktisch über Nacht in die Obdachlosigkeit geschickt. Dieses für alle Beteiligten unerwartete Vorgehen seitens des Senats war willkürlich, intransparent, menschenverachtend und auch rechtswidrig.

Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrates Berlin betont: »Nach dem Polizeirecht darf niemand in die Obdachlosigkeit ausgesetzt werden. Dies gebietet das für Deutsche und Ausländer gleichermaßen zu beachtende, in der Verfassung verankerte Menschenwürdeprinzip nach Art. 1 und Art. 20 des Grundgesetzes.«

Zudem seien keine entschiedenen Ablehnungen in den aufenthaltsrechtlichen Verfahren der betroffenen Flüchtlinge bekannt. Der Senat hat sich also nicht einmal die Mühe einer Prüfung gemacht. Sämtliche Anträge auf Umverteilung der laufenden Asylverfahren aus anderen Bundesländern nach Berlin wurden ebenso ausnahmslos abgelehnt wie die Anträge der »Lampedusa-Flüchtlinge« auf humanitäre Aufenthaltstitel.

»Das Vorgehen des Senats ruft bei den Flüchtlingen Wut und Verzweiflung hervor« sagt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat, »nachdem sie ihren Teil der Vereinbarung erfüllt haben, nämlich den Abbau der Zelte auf dem Oranienplatz und den Auszug aus der besetzten Schule, bleibt der Senat die gegebenen Zusagen schuldig.« Die offensichtlich nutzlose Einigung war das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Die mühevollen und nervenaufreibenden Verhandlungen der letzten Monate, die dauernden Hungerstreiks, die Selbstmord-Drohungen und die Belagerung ganzer Stadtviertel in Berlin, waren die Kulisse einer Inszenierung des Senats.