Im Nachtrab

geschrieben von Regina Girod

22. Januar 2015

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und zwar schon lange. Doch die Regierenden haben sich der Anerkennung dieses Faktes bisher konsequent verweigert. Forderungen nach einem Einwanderungsgesetz, zum Beispiel von den Grünen oder den christlichen Kirchen erhoben, stießen bei ihnen auf taube Ohren, genau wie die Warnungen der Demographen vor den Folgen einer umgekehrten Alterspyramide. »Abschottung!« lautete die Devise. Und wenn doch einmal die Bedingungen für den Zuzug hochqualifizierter Fachkräfte gelockert wurden, dann waren die deutschen Umfeldbedingungen nicht attraktiv genug, um im Wettbewerb um diese überall Begehrten mithalten zu können. In den letzten Jahren kamen allerdings vermehrt junge EU-Bürger, etwa aus Spanien und Italien, zu uns. Offensichtlich hat der Arbeitsmarkt sie aufgenommen, dafür war die Freizügigkeit in der EU ja auch geschaffen worden. Doch nicht diese positive Erfahrung, sondern der ansteigende Strom von Flüchtlingen brachte Finanzminister Schäuble jüngst dazu, der Bildzeitung zu erklären: »So wie uns nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Flüchtlinge und Vertriebene beim Aufbau unseres Landes genützt haben und später die Gastarbeiter, so brauchen wir auch heute Zuwanderung«.

Eine kopernikanische Wende in der deutschen Politik, die lange überfällig war. Doch Schäubles Vermischung von Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik hat viele Haken. Tatsächlich müsste für beide Bereiche dringend eine konsistente und menschenrechtlich fundierte Politik entwickelt werden. Die Unterscheidung zwischen »guten« Flüchtlingen, die Deutschland nützen können und so genannten »Wirtschaftsflüchtlingen«, die man schnellstmöglich wieder abschieben will, bleibt menschenverachtend und ignoriert, dass wirtschaftliche Not schon immer ein wesentlicher Fluchtgrund war. »Jeder Wirtschaftsflüchtling nimmt einem in Lebensgefahr zu uns gekommenen Asylbewerber einen Platz weg.«, erklärte Bayerns Innenminister Herrmann jüngst demagogisch – kaltherzig und verbohrt wie eh und je.