»Invasion« oder »Kriegsende«

geschrieben von Ulrich Schneider

3. März 2015

Europäische Geschichtspolitik im Zeichen der Ukraine-Krise

 

Der Bürgerkrieg in der Ukraine stellt nicht nur eine Bedrohung des Friedens in Europa dar, er hat auch direkte Auswirkungen auf die geschichtspolitische Erinnerung hat, wie in den letzten Wochen drastisch sichtbar wurde.

Es fing zur Jahreswende wieder einmal mit einem Gedenkmarsch zu Ehren des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera in Kiew an. Bezeichnenderweise vermeldeten – wenn überhaupt – die deutschen Medien diesen Massenaufmarsch der offen faschistischen Kräfte nur in einer Nebenbemerkung.

Wenige Tage später verblüffte der ukrainische Regierungschef Jazenuk die Öffentlichkeit bei seinem Besuch in Berlin mit der Aussage, die Welt erinnere sich noch gut an den sowjetischen Anmarsch auf die Ukraine und nach Deutschland. Das müsse man heute vermeiden. Es zeigte die Voreingenommenheit der Interviewerin der ARD, dass sie diese Aussage nicht einmal hinterfragte, sondern unkommentiert als ernstzunehmende These eines Regierungschefs akzeptierte. Es ist ein problematisches geschichtspolitisches Signal, wenn der Befreiungskampf um das okkupierte sowjetische Territorium und die mühevolle militärische Zerschlagung der faschistischen Armee hier als quasi »Invasion« denunziert werden konnten.

Ein ähnlich problematisches Verhalten zeigte die polnische Regierung im Zusammenhang mit den Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die sowjetische Armee am 27. Januar 1945. Mit einem Taschenspielertrick hatte die polnische Regierung versucht, sich um die Verantwortung zu drücken, den Präsidenten Russlands, Putin, offiziell als Staatsgast zu diesem Gedenken einzuladen. Man erklärte, man habe überhaupt keine Staatsmänner eingeladen. Interessanterweise wurden jedoch die anwesenden Staatsoberhäupter bei der Feier selbst als Gäste der polnischen Regierung begrüßt. In dem Zusammenhang verstieg sich der polnische Außenminister Grzegorz Schetyna zu der absurden Aussage, die Nichteinladung des russischen Präsidenten begründe sich auch darin, dass die Befreiung von -Auschwitz das Werk ukrainischer Soldaten gewesen sei, denn Soldaten der I. Ukrainischen Front hätten die Tore des Lagers geöffnet. Es war eine Peinlichkeit, dass dem polnischen Minister erklärt werden musste, dass sich die Benennung dieser Militäreinheit aus dem Einsatzgebiet ableitete und nichts mit irgendeiner nationalen Zusammensetzung zu tun hatte. Zwar versuchte der Außenminister noch einmal nachzulegen, er verfüge über gesicherte Informationen, dass es ein ukrainischer Soldat gewesen sei, der das Tor geöffnet habe, aber angesichts der umfänglich erforschten und hinreichend dokumentierten Geschichte dieser Militäreinheit erledigte sich dieser Ablenkungsversuch von selbst.

Wenige Tage später preschte der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski mit einem weiteren Vorschlag vor, der die historische Perspektive auf das Jahr 1945 verschieben würde. Statt auf Einladung des russischen Präsidenten am 9. Mai in Moskau den »Tag des Sieges« zu begehen, könnten doch Politiker aus aller Welt am 8. Mai in Danzig, wo der zweite Weltkrieg seinen Ausgang genommen habe, das Kriegsende feiern.

Damit unternahm er nicht nur einen weiteren Versuch, die militärische Leistung der sowjetischen Streitkräfte zu diskreditieren, sondern auch den 8. Mai 1945 auf seine frühere ideologische Bedeutung allein als »Kriegsende« zu reduzieren. Seit 1985 – mit der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker – ist es zumindest in der öffentlichen Diktion unstrittig, dass der 8. Mai mehr ist als der »Tag der Kapitulation«, nämlich der »Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg«. Und es war ebenfalls Weizsäcker, der für die deutsche Perspektive betonte, man könne den 8. Mai 1945 nur in Zusammenhang mit dem 30. Januar 1933, also mit der Errichtung der faschistischen Herrschaft in Deutschland verstehen.

Wer diesen Zusammenhang bewusst auseinanderreißt, will nicht, dass der Zusammenhang von Faschismus und Krieg gesehen wird, der will neo-faschistische und extrem nationalistische Kräfte entlasten.