Recherchen mit Hindernissen

geschrieben von Janka Kluge

27. April 2015

Der NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg

 

In Baden-Württemberg hat es lange gedauert, bis ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex eingerichtet wurde. Zuerst entstand eine Gruppe beim Landeskriminalamt (EG-Umfeld), die alle Ermittlungen zum Mord an Michele Kiesewetter noch einmal überprüfen sollte. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Ermittlungsbehörden keine Fehler gemacht hätten und es im Land keine nennenswerten Naziaktivitäten gibt. Als die Proteste gegen diese Verharmlosung immer lauter wurden, richtete die grün-rote Landesregierung eine Enquete-Kommission ein. Diese Kommission hatte wenig Befugnisse und kaum ein Abgeordneter zeigte Interesse an ihrer Arbeit. Nach einem Fehler des grünen Vorsitzenden platze die Kommission und als Ausweg blieb nur noch die Gründung eines Untersuchungsausschusses.

In dessen ersten Sitzungen wurden Experten geladen, die den Mitgliedern deutlich vor Augen führten, dass es in Baden-Württemberg durchaus eine gefährliche Naziszene gibt, die auch Kontakte zum Thüringer Heimatschutz hielt. Bei den anschließenden Befragungen zeichneten sich die meisten Abgeordneten dadurch aus, dass sie diese Einschätzungen in Frage stellten.

Als nächstes nahm sich der Ausschuss vor, den Tod von Florian Heilig zu untersuchen. Heilig war ein Aussteiger aus der Naziszene aus dem Kreis Heilbronn, der gegenüber zwei Mitschülerinnen geäußert hatte, dass er wisse, wer die Polizistin Michele Kiesewetter ermordet hat. Nachdem sein Zimmer in einem Wohnheim durchsucht worden war, erzählten die beiden Schülerinnen die Begebenheit einer Lehrerin, die daraufhin die Polizei einschaltete. Bei der Durchsuchung seines Zimmers hatte die Polizei zwei Waffen gefunden, die Kameraden bei ihm deponiert hatten, weil er noch nicht so bekannt war. Bei der Vernehmung durch die Polizei sagte Heilig, dass er nicht wisse wer die Polizistin ermordet habe, dass aber Nazis im Raum Heilbronn damit prahlten, schon Menschen ermordet zu haben. Außerdem habe es Treffen zwischen den beiden »radikalsten Gruppen« Deutschlands gegeben. Mehrfach hätten sich Mitglieder einer Gruppe mit dem Namen NSU mit einer regionalen Gruppe NeoSchutzStaffel (NSS) in Öhringen getroffen. Als Florian Heilig, den Namen NSU nannte, war er in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt. Nach eigenen Angaben war er bei einem solchen Treffen dabei. Ein Kumpel mit Namen »Matze« habe ihn vom Bahnhof in Öhringen abgeholt und zu dem Treffen mitgenommen.

Bei der Anhörung der Polizistin im Untersuchungsausschuss, die Florian Heilig damals vernommen hatte, kam heraus, dass sie ihm kein Wort geglaubt und auch nie versucht hatte, diesen »Matze« zu finden. Florian Heilig identifizierte bei einer Ortsbegehung in Öhringen das »Haus der Jugend« als den Treffpunkt. Doch die Polizei konnte unter den Nutzern des Hauses keine Nazigruppe entdecken und legte daher alles zu den Akten. Nach Aussage von Florian Heilig sollen an dem Treffen fast fünfzig Menschen teilgenommen haben. Erst jetzt ist es der Polizei gelungen »Matze« zu identifizieren. Er hat sich den Schriftzug NSS und ein Hakenkreuz eintätowieren lassen. In einem ersten Verhör hat er die Angaben von Florian Heilig bestätigt.

Am 16. September 2013 hatte Florian Heilig einen Termin bei der EG-Umfeld. Am Abend davor bekam er einen Anruf, der ihn nach Aussagen der Eltern völlig verstört hat. »Die bekommen mich, egal wo ich bin« habe er zu ihnen gesagt. Kurze Zeit später ist er mit zwei Mitschülern, er hatte inzwischen den Ausbildungsplatz gewechselt, zum neuen Wohnheim gefahren. Als er wenige Tage zuvor einen Nazi aus Heilbronn in der Parallelklasse der Berufsschule gesehen hatte, hatte er überlegt, die Ausbildung zu beenden. Nachdem er die Mitschüler abgesetzt hat, ist er weitergefahren. Das nächste, was von Florian Heilig eindeutig bekannt ist, ist, dass er am Cannstatter Wasen in Stuttgart morgens um 9 Uhr in seinem Auto verbrannt ist.

Die Staatsanwaltschaft legte sich schon nach wenigen Stunden darauf fest, dass er Selbstmord begangen habe. Die offenen Fragen, vor allem die, die auf einen Mord hindeuten, wurden zu den Akten gelegt. Der Vater machte vor dem Ausschuss deutlich, wie entwürdigend das Verhalten der Polizei für die Familie war. Jetzt hat die Familie dem Untersuchungsausschuss mehrere Gegenstände übergeben, die sie im ausgebrannten Auto ihres Sohnes gefunden hat. Darunter eine Pistole, eine Machete und der Schlüsselbund mit dem Autoschlüssel.

Nachdem der Druck des Untersuchungsausschusses auf die Staatsanwaltschaft und die Polizei zugenommen hat, nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zum Tod von Florian Heilig wieder auf. Die Schwäbische Zeitung berichtete am 11.4., dass gegen den Polizisten der den Tod von Florian Heilig untersucht hat, wegen »Strafvereitelung im Amt« ein Disziplinarverfahren eröffnet wurde. Es bleibt spannend im Stuttgarter Landtag.