Die längste Diktatur Europas
3. Juli 2015
In Lissabon wurde das Aljube-Museum eröffnet
»Grândola, Vila Morena« – den stampfenden Rhythmus dieses Liedes, das das Zeichen für den Aufstand gegen die Diktatur in Portugal gab, haben viele von uns noch im Ohr. Nun wurde am 25. April 2015 im Zentrum Lissabons das städtische Museum über »Widerstand und Freiheit« eröffnet (Museu do Aljube – Resistência e Liberdade; Aljube bedeutet im Arabischen »Gefängnis«). 37 Jahre lang, von 1929 bis 1965, wurden dort tausende Gegner des autoritären Salazar-Regimes, Linke, Demokraten, Antifaschisten, von der berüchtigten Geheimpolizei PIDE verhört, gefoltert und inhaftiert. Im Jahr 2009 wurde das Gebäude des ehemaligen Geheimdienstgefängnisses vom damaligen sozialistischen Justizminister Antonio Costa an die Stadt Lissabon übergeben, um dort einen Erinnerungsort für den antifaschistischen Widerstand zu schaffen.
48 Jahre lang war Portugal eine Diktatur, Antonio Salazar nahm Anleihen beim italienischen Faschismus. Die Ausstellung beginnt mit der Geschichte des Landes von 1890 bis 1976. Der Schwerpunkt liegt auf dem Kampf progressiver und reaktionärer Kräfte um die Macht im Staat, den Letztere 1926 für sich entschieden. Sie endet aber nicht mit dem 25. April 1974, der Nelkenrevolution, sondern beleuchtet auch die Kämpfe in der Gegenwart für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit, gegen Ausbeutung und Diskriminierung. Der Besucher wird über die Ideologie des Salazar-Regimes informiert: Im Bunde mit den konservativen Reichen und der gehätschelten Armee schuf der Bauernsohn Salazar mitten im 20. Jahrhundert ein Stück machiavellistischer Vergangenheit, mit einem einfachen, holzschnittartigen Weltbild von Gott und Vaterland, Familie, Arbeit und Autorität.
Im zweiten Stock werden Methoden individuellen und kollektiven Widerstands, öffentlicher wie Untergrundaktivitäten sowie die Funktionsweise des Unterdrückungsapparates gezeigt. Gängigste Methode zur Erzwingung von Geständnissen war die »Schlaf-Folter«, bei der die Häftlinge gewaltsam am Schlafen gehindert wurden. Rekord: 16 Tage und Nächte ununterbrochenen Gewecktwerdens. Drei ehemalige Häftlingszellen wurden in die Ausstellung integriert.
Ende der 1960er Jahre hatte Portugal das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen, aufgrund der Kriege in seinen Kolonien die relativ höchsten Militärausgaben, das relativ niedrigste Bildungsbudget und die höchste Analphabeten-Rate aller Länder Europas: Von zehn Portugiesen konnten vier weder lesen noch schreiben. Die männliche Jugend wurde in einen vierjährigen Militärdienst gepresst, um Kriege zu führen, die sie nicht führen wollte. Die Ausstellung zeigt im dritten Stock die verheerenden, dreizehn Jahre dauernden Kolonialkriege aber auch, dass es auch Portugiesinnen und Portugiesen gab, die den antikolonialistischen Befreiungskampf in Afrika unterstützten.
Aktuell ist die gesamte Ausstellung und der Katalog leider nur auf Portugiesisch zu bekommen, nicht einmal auf Englisch gibt es Kurzinformationen oder einen Überblick. Einzig ein kurzer chronologischer Film verfügt über englische Untertitel. Interessierte antifaschistische Portugal-Touristinnen sind aber über die Zeitgeschichte informiert und können daher auch einen Nutzen aus dem Besuch des Museums ziehen.