Potsdam, 70 Jahre danach
8. November 2015
Lebhafte Debatten über ein welthistorisches Abkommen
Auf Einladung der Stadt Potsdam, der Berlin-Brandenburgischen Auslandsgesellschaft (BBAG) und der Deutsch – Polnischen Gesellschaft, unterstützt durch die VVN-BdA und die FIR fand im September 2015 eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema »Das Potsdamer Abkommen: rechtliche Bedeutung und historische Auswirkungen« statt. Anwesend waren Wissenschaftler aus Russland, Polen, Großbritannien, Kanada und Deutschland.
Eingeladen war auch die Bundesregierung bzw. das Außenministerium, das jedoch bis zuletzt keine Möglichkeit sah, mit einem eigenen Referenten zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Als Ersatz referierte Prof. Manfred Görtemaker (Potsdam), der zwar faktengestützt den Weg zur Konferenz und deren Ergebnis skizzierte, jedoch eher apologetisch der Einschätzung früherer Bundesregierungen in den Bewertungen folgte. Einen Kontrapunkt lieferte Prof. Lutz Kleinewächter (WeltTrends e.V.), der ein düsteres Bild der heutigen Weltordnung und möglicher Handlungsoptionen beschrieb.
Den Aufschlag zur Tagung machte Prof. Christoph Koch, Vorsitzender der Deutsch – Polnischen Gesellschaft, der sich mit dem Fortwirken der »Deutschland-Doktrin«, dass das Deutsche Reich weiterhin fortbestehe und die BRD nur in eigenem Namen handeln könne, beschäftigte. Er beklagte, dass es 1990 bei den Beratungen zum 2+4 Vertrag nicht gelungen sei, die Bundesrepublik völkerrechtlich zur Aufgabe dieser – im Kern revanchistischen – Haltung, die durch das Bundesverfassungsgericht 1973 vorgegeben worden war, zu bewegen.
Prof. Galina Šinkareckaja (Moskau) untersuchte die Veränderungen im internationalen Recht, das zunehmend von konkreten Verträgen zu Vereinbarungen (»soft law«) mit politischer Bindewirkung übergeht. Darin ordnete sie auch die juristische Bewertung des Potsdamer Abkommens ein.
Einen anregenden Beitrag lieferte Prof. Bill Bowring (London), der über eine juristische Debatte zwischen einem amerikanischen Völkerrechtler und dem Vertreter der Deutschlanddoktrin Wilhelm Grewe berichtete.
Prof. Norman Paech (Hamburg) und Prof. Gregor Schirmer (Jena) zeichneten die unterschiedliche völkerrechtliche Debatte in beiden deutschen Staaten sehr anschaulich nach und machten noch einmal sichtbar, warum erst mit der Entstehung der BRD und der DDR wieder deutsche völkerrechtliche Subjekte auf der Bühne entstanden und wie sie bezogen auf die Festlegungen des Potsdamer Abkommens agierten.
Prof. Władysław Czapliński (Warschau) begründete, warum das Formulierte der polnischen Seite bei allen bisherigen Grenzverträgen mit den deutschen Staaten ausgereicht habe, da die »Deutschlanddoktrin« nur eine »innerdeutsche Debatte« sei, die am Fakt der Anerkennung der Grenze nichts ändere.
In der historischen Sektion zeichnete Prof. Michael Carley (Montreal) – gestützt auf Dokumente des britischen Außenministeriums – die Kontinuität der antisowjetischen Haltung der britischen Regierung von 1918 bis 1945 nach. Prof. Wladimir Pečatnov (Moskau) ergänzte diese Perspektive, indem er die Wochen der unmittelbaren Vorbereitungen auf die Konferenz aus sowjetischen Quellen untersuchte. Die Berichte der Botschafter aus den Hauptstädten der Alliierten ergaben vergleichbare Einschätzungen. Folgerichtig wurden zentrale Punkte des Abkommens zwischen der UdSSR und den USA ausgehandelt.
Prof. Geoffrey Roberts (Cork) sprach über das Verhältnis und die politischen Intentionen der Siegermächte von Jalta bis Potsdam. Prof. Bodgan Koszel (Poznań) zeichnete aus polnischer Perspektive deren Haltungen zur polnischen Westgrenze nach. Es ging dabei weniger um den konkreten Verlaufes der Grenze, als vielmehr um die Frage der Westverschiebung des polnischen Staatsgebietes.
Prof. Werner Röhr (Berlin) referierte mit großer Detailkenntnis über Debatten zur »polnischen Frage« von Teheran bis Potsdam, wobei er die innerpolnische Debatte zwischen der britisch gestützten Londoner Exilregierung und dem sowjetisch gestützten Lubliner Komitees berücksichtigte.
Dr. Ulrich Schneider (Kassel) skizzierte zum Abschluss die politischen Visionen der deutschen antifaschistischen Kräfte für einen Neuanfang und deren Kongruenz mit den Grundsätzen des Potsdamer Abkommens in Punkt III. Obwohl deren Inhalte nur teilweise politische Realität wurden, sind sie bis heute eine antifaschistische Orientierung über parteipolitische Grenzen hinweg.
Zum Erfolg der Konferenz trug auch das von der BBAG organisierte Begleitprogramm bei, der Festakt zu »25 Jahre Deserteursdenkmal in Potsdam«, das Besuchsprogramm im Schloss Cecilienhof und zu anderen historischen Orten der Konferenz sowie am Hiroshima-Platz.
Man hätte dieser Konferenz durchaus mehr Teilnehmende gewünscht. Der angekündigte Protokoll-band wird die lebendigen Debatten am Rande der Tagung nur bedingt abbilden können.