Freigeben oder verbieten?
4. Januar 2016
Der Kampf um Hitlers »Mein Kampf« geht in eine neue Runde
Seit einigen Monaten tobt ein Streit in den Feuilletons der deutschen Zeitungen. Es geht um die Frage, ob Hitlers »Mein Kampf« freigegeben werden soll. Hitler hat das Buch während seiner Haftzeit in Landsberg geschrieben und darin seine kruden politischen Vorstellungen zusammengefasst. In den ursprünglich zwei Büchern hetzte er gegen Juden und kündigte an, sie aus dem öffentlichen Leben ausschließen zu wollen. In seinem offenen, aggressiven Antisemitismus bezog er sich auf die »Protokolle der Weisen von Zion«. Diese Schrift war während der Weimarer Republik weit verbreitet. Forschungen haben später ergeben, dass es sich um Fälschungen des russischen Geheimdienstes handelte. Der Zar benutzte sie, um Pogrome gegen russische Juden anzuheizen.
Außerdem schrieb Hitler in »Mein Kampf«, dass Deutschland Gebiete in Osten erobern solle. Den Krieg gegen die Länder Osteuropas hatte er also hier bereits angekündigt, ebenso die Verfolgung der Arbeiterparteien. Ausgangspunkt seiner Darstellungen war die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg. Für Hitler waren die Juden und die Linken an dieser Niederlage schuld, weil sie den Soldaten an der Front in den Rücken gefallen seien. Diese Schuldzuweisungen wurden von einem -großen Teil des nationalen Lagers geteilt.
Die ersten beiden Bände erschienen 1925 mit einer Auflage von 10 000 Exemplaren. Später kam eine günstige Taschenbuchausgabe heraus, die beide Bände enthielt. Bis zum Ende des Krieges müssen mehr als 12 Millionen Exemplare in Deutschland vorhanden gewesen sein. Zu großen Teilen wurden sie verschenkt. So bekam jedes Paar, das in den Jahren 1933 bis 1945 geheiratet hat, ein Exemplar zur Hochzeit überreicht.
Bereits im Oktober 1945 wurde auf einer Sitzung der interalliierten Kommission ein offizielles Verbot von »Mein Kampf« erlassen.
Hitler war während der ganzen Zeit des 3. Reichs in München gemeldet. Am 15. Oktober 1948 wurde von der Spruchkammer I in München ein Urteil bestätigt, dass den Nachlass Hitlers dem Land Bayern zuspricht. Neben Konten und Immobilien gehört das Urheberecht seiner Schriften und Reden dazu. Damit ist auch das Urheberrecht an dem Buch »Mein Kampf« an den Freistaat gegangen. Das Finanzamt in München bekam den Auftrag, Veröffentlichungen im In- und Ausland zu verhindern. Der Schutz des Urheberrechts ist aber zeitlich begrenzt. Siebzig Jahre nach dem Tod eines Autors endet er und alle Verlage können die zuvor geschützten Werke nun veröffentlichen. Dadurch hat ab Januar 2016 das Finanzamt München keine juristischen Möglichkeiten mehr, die Veröffentlichung des Buches zu verhindern.
Es lohnt sich also, den Blick noch einmal auf die juristische Situation zu richten. Das Urteil der alliierten Kommission ist nicht aufgehoben geworden. Es gibt auch noch ein weiteres Urteil, das sich mit der Veröffentlichung von Hitlers »Mein Kampf« beschäftigt. 1960 wurde in Berlin eine Razzia bei fliegenden Buchhändlern durchgeführt. Kurze Zeit später veröffentlichte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Meldung, dass das Buch nur noch an »professionelle Leser« verkauft werden dürfe. 1976 wurden in einem Antiquariat 150 Exemplare des Buches gefunden. 1979 bestätigte dann der Bundesgerichtshof das grundsätzliche Verbot einer Neuauflage. Die Bundesrichter haben aber eine Ausnahme zugelassen. Exemplare, die vor 1945 gedruckt wurden nimmt das Gericht ausdrücklich von dem Verbot aus. In einer fragwürdigen Begründung schreiben die Richter, dass es »sich hierbei um eine vorkonstitionelle Schrift handelt, aus deren unverändertem Inhalt sich eine Zielrichtung gegen die in der Bundesrepublik Deutschland erst später verwirklichte freiheitliche demokratische Ordnung noch nicht ergeben konnte.« ( 3 StR 182/79 (S) )
Nachdem das Urteil bekannt wurde gab es vielfältige Proteste, die betonten, dass die in dem Buch beschriebene Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung, die Planung des Angriffskriegs und die Versklavung großer Teile der osteuropäischen Bevölkerung auch heute noch strafbar sind. Bis jetzt ist allerdings noch keine Neuausgabe von »Mein Kampf« angekündigt. Sollte es aber doch so weit kommen, wird es Sache der antifaschistischen Organisationen, des Zentralrats der Sinti und Roma und der israelitischen Religionsgemeinschaft sein, juristisch dagegen vorzugehen oder nicht.
Es gibt aber auch Menschen, die sagen, dass dem Buch endlich der Mythos des Verbotenen genommen werden muss. Sie argumentieren, wenn es freigegeben werde, könnten sich alle selbst über die Ideen Hitlers informieren. Ich denke es ist richtig, sich mit Hitler und seiner Ideologie auseinanderzusetzen. Dafür ist allerdings eine kommentierte Fassung besser geeignet. Das Land Bayern hat nun solch eine kommentierte Ausgabe beim Institut für Zeitgeschichte in Auftrag gegeben. Sie erscheint im Januar. Allerdings hat diese Ausgabe ausgesprochen schlechte Aussichten, ein Bestseller zu werden. Das Buch wird in zwei Bänden mehr als tausend Seiten umfassen und 69,- Euro kosten.