Nein zur EU, Ja zur Nato?

geschrieben von Ulrich Schneider

3. März 2016

Europa zwischen Nationalismus und Rechtspopulismus

 

Durch die meisten Medien geistert seit Wochen die Sorge, dass die Flüchtlingsfrage zu einer Zerstörung der EU führen könne. Zeitungen titelten bereits »EU am Ende« – manchmal mit, manchmal ohne Fragezeichen. Sicherlich ist diese Aussage deutlich zu früh formuliert, aber die Gemeinsamkeit, die als Grundlage der Europäischen Union lange Zeit behauptet wurde, existiert in der Tat schon lange nicht mehr. Ausdruck davon sind nicht nur die Haltungen der einzelnen europäischen Länder in der Flüchtlingsfrage, sondern bereits in den Jahren zuvor die Reaktionen auf die Wirtschaftskrise in den südeuropäischen Staaten, die unter die finanzpolitische Knute der EU-Kommission gezwungen wurden – unter dem Applaus der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten.

Dabei wurde deutlich, dass diese Probleme nicht »regional« waren, sondern das ökonomische und politische Machtverhältnis in Europa insgesamt betrafen, nämlich die Unterordnung der kleineren europäischen Staaten unter die Kapitalinteressen vor allem deutscher und französischer Banken und Großunternehmen. Die Reaktion auf dieses »Europa der Banken« sah man bereits in der letzten Europawahl im gewachsenen Einfluss der so genannt »euroskeptischen« und extrem rechten Parteien. Nun hat sich diese Tendenz in den nationalen Parlamenten fortgesetzt, so dass wir nicht nur rechte und deutlich nationalistische Parteien an der Regierung haben wie in Ungarn oder Polen, sondern auch andere Regierungen einen zunehmende nationalistischen Kurs fahren, wie z.B. im Baltikum, in der Slowakei, den EU-Balkanstaaten oder in Dänemark. Begründet wird diese Veränderung mit den Problemen in der Aufnahme von Flüchtlingen, wobei hier insbesondere die fehlende Solidarität zwischen allen europäischen Staaten zu dieser Auflösung der Zusammenarbeit beiträgt.

Im Sinne des »St.-Florians-Prinzips« will man die Verantwortung für die von der EU-Politik mitverantwortete Flüchtlingsbewegung entweder auf die Staaten an der Peripherie oder zumindest die jeweiligen Nachbarstaaten abwälzen. Verschiedene unrühmliche Beispiele liefern dazu Frankreich, das im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl nur eine verschwindende Zahl von Flüchtlingen aufnimmt, Ungarn und Österreich, die sich nur als Transfer-Land verstehen, oder die baltischen Staaten, Polen und die Slowakei, die sich bislang überhaupt nicht an der Aufnahme der Flüchtlinge beteiligt haben. Die Ankündigung verschiedener Staaten, ihre Außengrenzen zu schließen, verstärkt diese Tendenz. Rückendeckung verschaffen sich die jeweiligen Regierungen, indem sie rechte Kräfte nicht nur ermutigen, sondern diese Stimmungen in ihr Argumentationsmuster aufnehmen – und damit scheinbar »Volkes Wille« gegen die »Anmaßungen der EU« verteidigen.

Diese Renationalisierung geht in den östlichen Ländern einher mit einer politischen Propaganda der »russischen Bedrohung«, der man nur durch Aufrüstung oder die Stationierung von NATO-Einheiten direkte an der östlichen Grenze begegnen könne. Damit verbindet sich diese Renationalisierung (»Nein zur EU«) in rechtspopulistischer und nationalistischer Diktion mit »Ja zur NATO«, was natürlich nichts mit der Wiedergewinnung nationaler Souveränität zu tun hat, sondern allein den Rückfall in den kalten Krieg bedeutet. Wie können Antifaschisten mit dieser Situation umgehen?

Klar ist, dass es eine vorrangige Aufgabe bleiben muss, den Opfern der imperialistischen Politik nicht nur im Nahen Osten zu helfen, also die Unterstützung und menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen in der EU zu garantieren. Auch die Bevölkerung muss deutlicher ihre Stimme erheben, dass die Lasten und die Verantwortung gerecht unter allen Staaten verteilt werden und politische Abgrenzungen, Schließung von Grenzen, Ablehnung der Hilfen oder menschenunwürdige Behandlung nicht zugelassen werden dürfen. In diesem Engagement sind unsere Partner weniger Parteien, sondern vorrangig die Organisationen der Zivilgesellschaft.

Zweitens sollten wir Initiativen und Kräfte unterstützen, die sich für eine Demokratisierung der Europäischen Union einsetzen, wie sie z.B. im Februar vom ehemaligen griechischen Finanzminister Varoufakis vorgeschlagen wurden. Nicht, weil wir große Illusionen über den Charakter und die Reformierbarkeit dieses transnationalen Zusammenschlusses hätten, sondern weil jeder Schritt zurück zu den alten Nationalstaaten in der gegenwärtigen politischen Lage ein Schritt in noch reaktionärere Bestrebungen und Chauvinismus wäre, wie man am Beispiel Polens aktuell verfolgen kann.