Aktionseinheit ohne Debatte?

5. März 2016

Gedanken zur Diskussion von Regina Girod

Als verantwortliche Redakteurin der antifa haben mich die Debatten um Thomas Willms´ Beitrag in der letzten Ausgabe stark beschäftigt. War das die Diskussion, die wir mit seiner Veröffentlichung anstoßen wollten? Wurden seine Argumente angenommen? Hat man ihn überhaupt verstanden? Die im Internet veröffentlichten Kommentare waren gegensätzlich: Zustimmung und Ablehnung, Freude und Wut, Verständnis und absolutes Unverständnis. Als hätten viele nur darauf gewartet, sich zu äußern. Das Bedürfnis nach Diskussion ist groß. Das wurde deutlich. Doch auch, dass wir noch viel zu lernen haben. Thesenartig möchte ich einige Probleme skizzieren, die mir aufgefallen sind.

Diskussionen schaden Bündnissen

Das war der Grundtenor vieler Reaktionen. Ihr mögt ja Recht haben, aber hört damit auf! Das schadet uns und nutzt dem Gegner. Wir brauchen eine große Einheit und Ihr zerstört und hintertreibt sie nur. Viele Jahre meines Lebens habe ich selber so gedacht – in der Logik einer bipolar geteilten Welt. Doch diese Teilung existiert nicht mehr. Eine Chance aus unserer Niederlage könnte darin liegen, unsere Angst vor Widersprüchen abzulegen und sie als das zu nehmen, was sie sind: Quelle und Triebkraft der Bewegung. Dann müssen wir aber auch die Formen finden, solidarisch mit ihnen umzugehen.

Politische Akteure und ihre Werte

Unterschiedliche Werte beruhen auf unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichen Interessen. Insofern sind sie objektiv. In dieser Frage war die Beschreibung von Thomas Willms nicht genau genug. Doch damit unterscheidet er sich nicht von seinen Kritikern. Es geht um die grundsätzliche Frage, wie Linke wieder Masseneinfluss gewinnen können in dieser höchst gefährlichen Situation, in der die Kriegsgefahr so groß ist, wie seit Jahrzehnten nicht. Wolfgang Gehrcke ist völlig zuzustimmen: »Die Hauptsache ist wohl, dass unter den herrschenden Verhältnissen breite Schichten ›nationalistisch-rechtsgestrickte‹ Stimmungen und Auffassungen haben. Der Einfluss eines imperialistischen Nationalismus muss eingedämmt werden und dafür muss man mit vielen Menschen diskutieren.« Die Differenz besteht nicht in der Frage, ob man mit diesen Menschen diskutieren soll, sondern wie weit man dabei ihren Auffassungen entgegenkommen muss. Und eben diese Entscheidung hängt von den Werten derjenigen ab, die sie treffen. Karl Radek ist dafür ein gutes Beispiel, das beweist sein Zitat. Ein Internationalist beschwört die Gefahr, dass es dem Feind ein Leichtes sein kann, Deutschland zu zerschlagen und zu zerstückeln. Das imperialistische Deutschland wohlgemerkt. Warum? Weil er nationalistisch gesinnte Proletarier für eine frühe Form der Volksfront gewinnen will – gegen das ententistische und das deutsche Kapital. Doch die nationalistisch gesinnten deutschen Proletarier sind den Faschisten gefolgt – eine bittere Wahrheit. Wir können versuchen, sie auf Heutiges zu übertragen. Doch auch, das, was wir aus der Geschichte übernehmen und wie wir es bewerten, hängt von unseren Werten ab.

Monopol auf Antifaschismus

Das gibt es nicht. Genauso wenig wie ein Monopol auf Antimilitarismus und Kriegsgegnerschaft. Beide Bewegungen zeichnet aus, dass Menschen mit unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Auffassungen hier gemeinsame Werte teilen. Daraus ergeben sich notwendig Widersprüche und Konflikte. Sie müssen, wie in Bündnissen generell, so diskutiert werden, dass das Gemeinsame in den Mittelpunkt gestellt wird und man auf das verzichtet, was von den Bündnispartnern nicht geteilt werden kann. Wenn die VVN-BdA, in diesem Fall in der Friedensbewegung, Widersprüche thematisiert, die zu ihrer Sicht und Lageeinschätzung existieren,meldet sie damit keinen Alleinvertretungsanspruch an, sich aber auch nicht aus dem Bündnis ab.

 

Debatte oder Shitstorm

Viele Reaktionen auf Thomas Willms´ Artikel zeigten, dass der Umgang mit Widersprüchen und Konflikten in der linken Bewegung genauso unsolidarisch, abwertend und verbohrt sein kann, wie in der Politik generell. Wer eine andere Meinung vertritt, kann nach Bedarf abqualifiziert, denunziert oder gleich als Verräter dem Feind zugerechnet werden. Eine solche Art des Umganges wurde lange eingeübt und wirkt noch immer fort. Doch sie ist kein Naturgesetz. Die Fähigkeit, andere Meinungen zuzulassen, abzuwägen und als berechtigt anzuerkennen, auch wenn man sie nicht teilt, ist erlernbar. Wir sollten es weiter versuchen.