Weltanschauung Faschismus
2. Mai 2016
Die Tagebücher eines Vordenkers des Holocaust
Nazis schrieben eigentlich keine Tagebücher. Es gibt allerdings zwei Ausnahmen. Goebbels notierte genauso wie Alfred Rosenberg regelmäßig seine Gedanken. Obwohl Rosenberg der wichtigste und gefährlichste Theoretiker der NSDAP war, kennt ihn heute kaum noch jemand. Er wurde im Januar 1893 in Reval geboren. 1917 erlebte er die Revolution in Moskau. Aus dieser Zeit stammt auch sein Antisemitismus. Für ihn war die Revolution die Folge einer jüdischen Weltverschwörung. Als er dann nach München zog, kam er in Kontakt mit antisemitischen Kreisen in Deutschland. Durch sein Wirken und seine Veröffentlichungen beeinflusste er Hitler und die NSDAP stark. Rosenberg nahm am Putschversuch der Nazis beim sogenannten Marsch auf die Feldherrnhalle teil. Da ihm kein Prozess gemacht wurde, beauftragte ihn Hitler, die nun verbotene NSDAP in der Illegalität weiterzuführen. Seit dieser Zeit gehört er zum engen Kreis um Hitler. Während der Weimarer Republik veröffentlichte er zahlreiche Artikel und Schriften. Höhepunkt dieser schriftstellerischen Arbeiten war sein 1930 veröffentlichte Buch »Mythos des 20. Jahrhunderts«. In dem Buch entwickelt Rosenberg die Idee einer germanischen Religion, die das Christentum ablösen soll.
1933 ernannte Hitler ihn zum Leiter des Außenpolitischen Amts der NSDAP, außerdem wurde er 1934 zum »Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP«. Damit war er formal der oberste Mann für die gesamte weltanschauliche Schulung der Partei und ihrer Gliederungen. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt setzen die jetzt veröffentlichten Aufzeichnungen ein. Sein erster Eintrag ist datiert auf den 14.5.1934. Nachdem er schreibt, dass er seit 15 Jahren kein Tagebuch mehr geschrieben hat und »dadurch vieles heute geschichtlich Gewordenes in Vergessenheit geraten« sei, nimmt er sich zwei Punkte vor zu denen er Notizen machen möchte. Da ist zum einen die damals diskutierte Einbindung Englands in ein Bündnis gegen die Sowjetunion und »die Durchsetzung unserer Weltanschauung gegen alle Gegner.« (S.112)
Die Einträge lesen sich zum großen Teil langweilig. Immer wieder aus Neue notiert er, mit welchen ausländischen Gästen er sich getroffen hat und wie sie ihn für seine Veröffentlichungen gelobt haben. Das »Amt Rosenberg« war zuständig für den Diebstahl zehntausender Kunstschätze aus den Museen der besetzten Länder. Außerdem plünderten seine Mitarbeiter zahlreiche Bibliotheken und schafften große Buchbestände nach Deutschland. Hitler hat in einem Erlass vom März 1942 ausdrücklich Rosenberg mit diesen Aktionen beauftragt,
Alfred Rosenberg war auch ein Vordenker des Holocaust. Für ihn war die Vernichtung aller Juden so selbstverständlich, dass er sie in seinen Aufzeichnungen nicht einmal erwähnte. Neben dem Tagebuch sind einige Dokumente abgedruckt. Dabei handelt es sich um Reden und Texte von Rosenberg. Im Dokument 7 sind Anweisungen aus dem »Amt Rosenberg« für den Umgang der Presse mit den Juden Osteuropas vom Frühjahr 1942 » (…) Daß die Juden selbstverständlich von uns als Hauptschuldige hingestellt werden, wird sicherlich von der ganzen Bevölkerung begrüßt werden. Die Judenfrage kann zu einem erheblichen Teil dadurch gelöst werden, daß man der Bevölkerung einige Zeit nach Inbesitznahme frei Hand lässt.« (S.555) Deutlicher wird er bei einer Rede zur Eröffnung eines »Instituts zur Erforschung der Judenfrage« in Frankfurt, die er ungefähr zur gleichen Zeit gehalten hat. » (…) Für Deutschland ist die Judenfrage erst dann gelöst, wenn der letzte Jude den europäischen Kontinent verlassen hat. Es ist dabei ganz gleich, ob ein solches Programm in 5, 10 oder 20 Jahren verwirklicht werden kann.« (S. 553)
Besonders hervorheben möchte ich das Vorwort der beiden Historiker Jürgen Matthäus und Frank Bajohr. Zum einen untersuchen sie die Frage, warum die Tagebücher erst jetzt komplett zugänglich sind, obwohl die in den ersten Jahren geschriebenen Einträge Teil der Anklage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess waren. Der ehemalige Chefankläger, Robert M. W. Kempner, bekam nach dem Prozess die Erlaubnis, Dokumente aus dem Verfahren privat zu entnehmen. Berichte und Artikel, die er später veröffentlichte, lassen vermuten, dass er Teile der Aufzeichnungen mit in die USA genommen hat. Nach Kempners Tod 1993 beschlossen die Erben, alle Unterlagen und Dokumente an das Holocaust Museum zu übergeben. Noch bevor dies geschah, sind allerdings viele Dokumente verschwunden. Die Suche nach ihrem Verbleib gestaltete sich schwierig. 2003 ordnete ein Gericht an, dass die Unterlagen, die sich noch im Besitz eines Altwarenhändlers befanden, dem Document Center übergeben werden müssen. Es dauerte zehn weitere Jahre, bis das Center weitere 425 handbeschriebene Tagebuchblätter bekam.
Alfred Rosenberg wurde in Nürnberg zum Tod verurteilt und 1946 hingerichtet.