Vernetzung bringt voran

8. Mai 2016

antifa-Gespräch mit Ali Ahmed, Sprecher der Gruppe Lampedusa in Hamburg

Selbstorganisation ist eine Waffe. So leitete der Sprecher der Gruppe Lampedusa in Hamburg, Abimbola Odugbesan, sein Fazit aus der »International Conference of Refugees and Migrants« ein, an der auf Einladung der Gruppe vom 26. bis 29. Februar 2016 auf dem Kampnagel-Gelände in Hamburg gut 2.500 Geflüchtete und 1.500 Unterstützerinnen und Interessierte teilgenommen haben. Gruppen und Einzelpersonen waren aus nahezu allen größeren deutschen Städten und aus den umliegenden Ländern, aus Holland und Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland, aus Großbritannien, Frankreich und Spanien, aus Griechenland, Italien und Malta und aus Polen und Russland gekommen. Gemeinsam diskutierten sie rund um das Thema »The Struggle of Refugees – How to go on« über die aktuelle politische Situation in Europa, Fluchtursachen und die katastrophale europäische Politik gegenüber den Flüchtenden und Geflüchteten, den Stand der Selbstorganisation sowie Perspektiven und Strategien ihres gemeinsamen Kampfes.

Programm der Konferenz unter: http://refugeeconference.blogsport.eu/files/2016/02/program-overview_final_correct.pdf

Programm der Konferenz unter: http://refugeeconference.blogsport.eu/files/2016/02/program-overview_final_correct.pdf

Eine enorme Zahl von Workshops, Kunstausstellung, Rechtsberatung, Kinderprogramm und »Women‛s Space« waren bestens besucht und der größte Saal K6 war bei jeder der Podiumsveranstaltungen proppenvoll. Diese Veranstaltungen wurden je nach Thema und Podiumsteilnehmerinnen stets in bis zu sechs Sprachen simultan übersetzt und auf einen großen Bildschirm im Foyer übertragen. Die allgemeine Kongress-Sprache war Englisch. Von Anmeldung und Bettenbörse bis Pressestelle und Versorgung mit Essen für die teilnehmenden Refugees – alles funktionierte wunderbar. Dafür sorgten auch viele Helfer und Helferinnen aus der Unterstützungs-Szene, die inhaltliche Gestaltung der Konferenz lag ganz in der Verantwortung der Selbst-organisationen der Geflüchteten.

antifa sprach mit Ali Ahmed, einem der Sprecher der Gruppe Lampedusa in Hamburg. Ali stammt aus dem Sudan und gehört dort der Kommunistischen Partei an.

antifa: Diese Konferenz zu organisieren, war eine riesige Herausforderung. Wie habt Ihr das geschafft?

Ali Ahmed: Wir waren im Juni 2015 in Hannover. Dort hatten die Freunde des Sudanesischen Protestcamps gemeinsam mit den Lampedusa-Gruppen aus Berlin und Hamburg eine Konferenz organisiert, um die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen von Geflüchteten auf eine neue Ebene zu bringen. Wir hatten dort mit 300 oder 400 Teilnehmenden gerechnet, es kamen dann bis zu 1.000 Personen. Schon dort hatten wir eine Kinderbetreuung organisiert, aber sonst war alles noch verbesserungsbedürftig: es war keine Presse da, wir hatten kaum Unterstützung von außen und praktisch kein Geld – wir konnten gerade mal für Essen sorgen. Vor allem gab es keine Beteiligung aus anderen Ländern. Trotzdem war das eine sehr ermutigende Sache: man trifft sich, man tauscht sich aus, man lernt voneinander und vor allem, Selbstorganisation ist eine Waffe im Kampf um unsere Rechte und die Vernetzung macht uns stärker.

antifa: So habt Ihr Mut gefasst, noch weiterzugehen?

Ali Ahmed: Ja. Wir haben schon im Sommer überlegt, wo wir in Hamburg so eine internationale Konferenz machen könnten. Einer unserer Sprecher, Ali Alassane, ist sehr viel unterwegs, um mit den Geflüchteten überall in Europa Kontakt aufzunehmen. Er war am Nord-Pas-de Calais und hat uns von den schockierenden Verhältnissen dort berichtet, er hat am grenzüberschreitenden Protest der sans-papiers teilgenommen, den Freunde von Frankreich aus organisiert haben. Es war klar, dass wir auch die Stimmen der Geflüchteten aus anderen europäischen Ländern dabei haben müssen. Es ist nicht allein Deutschland, es ist Europa, das sich gegen die Flüchtenden abschottet, obwohl die Fluchtursachen sehr viel mit Europa, mit dem Kolonialismus und der aktuellen Politik zu tun haben.

Wir können nur erfolgreich sein, wenn die Bewegung in den unterschiedlichen Ländern gemeinsam kämpft. Wir haben also verschiedene Orte für die Konferenz ins Auge gefasst bis wir den Kontakt mit Amelie Deuflhard, der Intendantin von Kampnagel bekamen. Nach drei Treffen im Oktober war klar, dass wir die Konferenz dort machen könnten. Am 15. November haben wir sie beschlossen und einen ersten Vorschlag für ein Konzept gemacht.


antifa: Dann habt Ihr gerade mal dreieinhalb Monate für die Vorbereitung gehabt?

Ali Ahmed: Wir haben wirklich hart gearbeitet. Und, leider muss ich das so sagen, am Anfang hatten wir sehr wenig Unterstützung, weil viele Gruppen sich gar nicht vorstellen konnten, dass das klappen wird. Wir haben sofort Arbeitsgruppen gebildet, die sich um Programm und Mobilisierung, Finanzen, Schlafplätze, Essen, Übersetzung und natürlich die Pressearbeit gekümmert haben. Von Anfang an haben wir Kinderbetreuung und einen besonderen Ort für Frauen mit geplant.

antifa: Wie habt Ihr denn die enormen finanziellen Mittel aufgebracht, die für eine solche Konferenz notwendig sind?

Ali Ahmed: Die Konferenz hat insgesamt 52.000 € gekostet. Wir mussten ja die Anreise- und Aufenthaltskosten für die Teilnehmenden aufbringen, die selbst oft nicht über die nötigen Mittel verfügen. Das war wirklich eine gewaltige Herausforderung. Wir haben natürlich überall, wo wir Kontakte haben, Anträge gestellt und tatsächlich viele Spenden bekommen. Sogar ein CDU-Abgeordneter hat gespendet, und zwar für die Unterkunft von Minderjährigen, und für die Unterstützung der mehr als 140 gehörlosen Geflüchteten, die zur Konferenz gekommen sind. Nur von den Grünen haben wir eine Absage bekommen. Fast 20.000 € haben wir durch Crowdfunding eingenommen. Das ist ein sehr wichtiges Instrument, nicht nur, um Geld zu sammeln, sondern auch für die Werbung.

antifa: Apropos Werbung: In so kurzer Zeit habt Ihr gut 4.000 Menschen mobilisiert, die zum Teil eine sehr lange und gelegentlich auch gefährliche Anreise hatten …

Ali Ahmed: Wir haben schnell eine Webseite erstellt und die sozialen Medien genutzt, also Facebook, Twitter, Instagram und google-messaging, und Ali, Abimbola und ich sind mit Fernbussen in die verschiedenen Städte gefahren, um dort mit den Geflüchteten direkt Kontakt aufzunehmen und sie zu mobilisieren. Das hat funktioniert, denn es ist allen ein Bedürfnis, sich zu vernetzen. Ich habe kürzlich an einer Skype-Konferenz mit rund 200 Leuten in der ganzen Welt teilgenommen, manche waren in Kenia oder Kanada, in Pakistan oder Russ-land. Wenn wir unseren Forderungen Gehör verschaffen wollen, ist die Vernetzung ein ganz wichtiger Schritt.

antifa: Was waren denn für Euch die wichtigsten Themen der Konferenz?

Ali Ahmed: Als erstes unser Recht, in Sicherheit zu leben, zu arbeiten, das Recht auf eine Wohnung, unsere Familien zu uns zu holen. Das sind Menschenrechte, um die wir kämpfen müssen. Wir fordern ein Ende der Kriege und der Waffenexporte, wir wollen dass die ständige Reproduktion neuer Fluchtursachen gestoppt wird. Dazu gehören auch Veränderungen der Wirtschaft. Wir wollen offene Grenzen nach Europa und in Europa, Meinungsfreiheit und Bewegungsfreiheit überall auf der Welt. Schluss mit dem Leben in Lagern. Auch Frauenrechte sind uns wichtig. Das haben unsere Frauen auf der Konferenz sehr deutlich gemacht. Und wir wenden uns gegen die Spaltung der Geflüchteten je nach Herkunft. Wir müssen und wollen alle gemeinsam kämpfen. Beim Abschlussplenum sagte jemand »One family, one community, one struggle«. Es ist uns klar, dass das ein langer Prozess ist, in dem unsere Forderungen weiter gehen müssen als die aktuellen Gesetze. Die Realität richtet sich nicht nach Gesetzen, sondern die Gesetze müssen der Realität gerecht werden.

antifa: Lampedusa in Hamburg kämpft seit drei Jahren um eine politische Lösung mit Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis …

Ali Ahmed: Und seit drei Jahren verweigert der Hamburger Senat uns eine Antwort. Wir sind keine Kriminellen, wir sind keine Sexisten, wir sind Menschen, die sich mit Schwarzarbeit für 2 bis 3 Euro pro Stunde extrem ausbeuten lassen müssen. Das kann nicht im Interesse der Hamburger sein, das ist nur im Interesse derjenigen, die daraus Extra-Profite ziehen können. In den drei Jahren, die unser Kampf schon dauert, haben wir viel Erfahrung gesammelt und uns immer besser organisiert. Wir haben verschiedene Arbeitsgruppen zur politischen Intervention, wir sind sehr aktiv im Internet und in den sozialen Medien. Einige von uns haben ein eigenes Radioprogramm auf die Beine gestellt und das nächste Ziel ist eine eigene Fernseh-Sendung. Eine ganze Reihe unserer Aktivisten haben aber immer noch keine feste Unterkunft. Deshalb stehen wir jetzt am Ende des Winternotprogramms vor dem großen Problem, für sie eine Bleibe zu finden. Darum kümmern wir uns politisch, brauchen aber auch solidarische Unterstützung. Weil viele unserer Mitglieder obdachlos sind und Angebote von Kleiderkammern und Lebensmittelverteilung, z. B. bei der Caritas in Anspruch nehmen müssen, wissen wir, dass es eine große Zahl armer Deutscher gibt. Man steht ja gemeinsam in einer Schlange und teilt Schlafräume. Deshalb sind wir überzeugt, dass wir auch diese Menschen in unseren Kampf einbeziehen müssen. Armut ist ein Problem, das Deutsche und Geflüchtete gleichermaßen betrifft und deshalb muss auch der Kampf gegen die soziale Misere und Ausgrenzung gemeinsam geführt werden. Wir planen übrigens schon die nächste Konferenz, vermutlich wird sie 2017 in Berlin stattfinden.