Antifaschistische Geschichtspolitik

geschrieben von Dr. Ulrich Schneider

7. September 2016

Ulrich Schneider beim VVN-BdA-Bundeskongress in Bochum

Ich möchte mit einer positiven Aussage beginnen. Wir können festhalten, dass auch bei den heutigen Generationen das Interesse an historischen Themen – bezogen auf die NS-Zeit und den antifaschistischen Widerstand – ungebrochen ist. Dies spiegelt sich in den Medien (Fernsehen bis zu Internet-Präsentationen, z.T. auch auf dem Buchmarkt) deutlich wider. Unser »Alleinstellungsmerkmal« als antifaschistischer Verband war in den vergangenen Jahrzehnten dadurch geprägt, dass in unseren Reihen die Zeitzeugen des antifaschistischen Kampfes, die diese Zeit politisch bewusst erlebt und aufgearbeitet hatten, organisiert waren. Ihre Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit gegenüber den nachgeborenen Generationen war das wichtigste Pfund unserer geschichtspolitischen Arbeit.
Wenn wir uns die aktuelle geschichtspolitische Landschaft in unserem Land anschauen, dann können wir eigentlich zufrieden hervorheben, dass wir in der geschichtspolitischen Arbeit schon lange keine »Einzelkämpfer« mehr sind, dass es recht viele – zumeist regionale – Initiativen, Geschichtswerkstätten und andere gesellschaftliche Gruppen gibt, die sich der Erinnerung an die Verfolgten des Faschismus widmen. Ich möchte hier nur die breite »Stolperstein«-Bewegung« erwähnen. Auch dort haben wir als VVN-BdA schon lange kein »Alleinstellungsmerkmal« mehr.
Wo wir aber weiterhin »einzigartig« sind, sind zwei Themen, die auch zukünftig unsere Geschichtsarbeit prägen sollten:
1. Wir beschäftigen uns auch weiterhin mit den Tätern (und Profiteuren) der faschistischen Verbrechen. Das Projekt unserer NRW-Kameraden »Verbrechen der Wirtschaft« ist dabei ein gelungenes Beispiel für diese politische Perspektive und hat, wie die entsprechende Internet-Seite zeigt, ganz eindrucksvolle Ergebnisse hervorgebracht, die in der politischen Auseinandersetzung vor Ort eingebracht werden..
2. Wir vermitteln die Geschichte aus der Perspektive der Frauen und Männer aus dem antifaschistischen Widerstand. Es geht in unserer geschichtspolitischen Arbeit – bei aller wissenschaftlichen Korrektheit – nicht um »akademische« Debatten, sondern darum, erstens die Leistung der Widerstandskämpferinnen und –kämpfer zu würdigen und zweitens deutlich zu machen, dass mit diesem Blickwinkel auch eine andere Bewertungen von historischen Daten verbunden ist.
Wenn wir darum kämpfen, dass der 8.Mai 1945 als Tag der Befreiung politisch anerkannt wird, dann bezieht sich diese Bewertung auch auf die Masse der faschistischen Mitläufer, es ist aber in erster Linie das Erleben der Widerstandskämpfer, der KZ-Häftlinge und anderer Verfolgter des Naziregimes, die dieses Datum als »Morgenrot der Menschheitsgeschichte«, wie Peter Gingold es formulierte, empfanden.

Neue Möglichkeiten der Zugänge
Was unsere Zeitzeugen früher im politischen Gespräch umsetzen konnten, als nämlich junge Menschen sie nicht nur nach historischen Ereignissen und Erfahrungen befragten, sondern auch danach, was sie denn zu den heutigen Problemen, mit denen sich die Nachgeborenen beschäftigten (Frieden, gesellschaftliche und soziale Kämpfe, Neofaschismus und Rechtsentwicklung etc.), für eine Meinung hatten, müssen wir heute als Einstieg in unsere Form der Geschichtsvermittlung nutzen.
Dabei sollte es nicht allein um das Auftreten von militanten Neonazis, Brandstiftungen und andere Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte oder den Aufschwung der AfD oder der Pegida-Aufmärsche in Dresden und einigen anderen Städten gehen. Hier engagieren sich junge Leute in oft ganz direkter Form. Auch die Fragen Krieg und Frieden, Eintreten für eine solidarische Gesellschaft und gegen Hegemonie von multinationalen Konzernen im wirtschaftlichen Bereich sind Anknüpfungspunkte zum Engagement junger Menschen.
Uns muss es gelingen, – ohne falsche oder verfälschende Analogien – diesen politischen Widerstand mit dem antifaschistischen Vermächtnis der damaligen Generationen zu verbinden, indem beispielsweise deutlich gemacht wird, dass die Losung »Nie wieder Krieg« nicht nur das Vermächtnis der Jahre 1945/46 war, sondern schon mit der Losung »Wer Hitler wählt, wählt Krieg!« seine prognostische Bedeutung hatte. Und wenn es um soziale Auseinandersetzungen geht, dann müssen wir die historischen Erfahrungen einbringen, dass die »Ethnisierung des Sozialen« durch Ausgrenzung und Marginalisierung ein rassistisches Konzept ist, das zu dem größten Menschheitsverbrechen, nämlich dem industriellen Massenmord geführt hat.
Und wo ebenfalls unsere Geschichtsperspektive Antworten für heute geben kann, ist die Frage der politischen Bündnisbreite des antifaschistischen Handelns. Unsere Zeitzeugen haben uns immer ermahnt, die Lehre des Scheiterns der antifaschistischen Kräfte 1933 nicht zu vergessen: »Schafft die Einheit!«, wie Wilhelm Leuschner es ausdrückte. Es gehört zu den zentralen Herausforderungen für unsere heutige politische und geschichtspolitische Arbeit, diese antifaschistische Bündnispolitik auch historisch abzuleiten.

Aus dem wesentlich umfangreicheren Einstiegsreferat Von Dr. Ulrich Schneider, Bundessprecher der VVN-BdA, auf dem außerordentlichen Bundeskongress in Bochum können hier nur einige Passagen wiedergegeben werden. Das vollständige Referat findet sich hier: http://www.vvn-bda.de/anforderungen-an-antifaschistische-geschichtspolitik-aus-heutiger-perspektive-erste-ueberlegungen/