»Willkommenskultur«

geschrieben von Bea Trampenau

7. September 2016

Erlebnisse und Widersprüche aus Heideruh

Seit Dezember 2013 wohnen in der Antifaschistischen Erholungs- und Begegnungsstätte Heideruh in der Lüneburger Heide neun Refugees, anfangs aus dem Sudan, zur Zeit aus dem Sudan, aus Libanon und Afghanistan – Verfolgte aufgrund ihrer politischen Aktivitäten, ihrer Trans- oder Homoidentität.
Heideruh setzt damit die nun 90jährige Tradition fort, Zuflucht für Verfolgte und im Widerstand kämpfende Menschen zu sein. Sie sind »unsere Bewohner«. Unterstützt werden sie von vor allem jungen Antifaschisten und Antifaschistinnen, die ihnen sowohl durch die juristischen und alltäglichen Dschungel deutscher Gepflogenheiten helfen, als sie in ihrer Selbstverwirklichung begleiten. Zudem ist in Heideruh ein Beschäftigungsprojekt angesiedelt, das erleichtert, gemeinsam eine Arbeitsperspektive in Deutschland zu entwickeln.
Täglich lerne ich dadurch deutsche Bürokratie kennen, wie ich es als Deutsche so komprimiert und existentiell nicht erleben muss: Schachtelsätze in Bescheiden, die auch ich nicht verstehe; Fristen, die nicht eingehalten werden können; Zuständigkeitsklärungen, die durch krankheitsbedingte Abwesenheiten der Zuständigen unendlich bis unmöglich werden; Arbeits- und Mietverträge, die schwer erkämpft wurden gegen Ressentiments von Arbeitgebern und Vermietern und dann wegen Unerreichbarkeit der Ausländerbehörde verfallen; Sozialversicherungsnummern, die geschickt werden, obwohl Arbeitsverbot besteht; Dublin I, II, III, Asylpaket I und II, Integrations»verhinderungs«gesetz und die Nachricht, dass es das Ziel sei, in drei Monaten zu entscheiden. Die Bewohner von Heideruh warten teils über zweieinhalb Jahre. Warten lassen als eine Strategie, dass sie weiter ziehen, gebrochen werden. Wurden die demokratischen Schlupfwinkel in den Gesetzen gefunden, werden sie von einer neuen Verordnung, einem neuen Gesetz zunichte gemacht, werden Hoffnungen zerstört. Unterstützer und demokratische Rechtsanwältinnen und auch Gerichte werden bis zur Erschöpfung zerschlissen. Z.B. war es 2015 noch möglich, dass Kosovaren mit Ausbildungsplatz bleiben durften. Nach der Feststellung dass Kosovo ein »sicheres« Herkunftsland ist, müssen Kosovarinnen trotz Ausbildungsplatz erst einmal 10 Monate zurück, um dann mit einem Arbeitsvisum wieder einzureisen. Vielleicht. Der moderne Sklavenmarkt – Erziehen und filtern, was der deutsche, bzw. der EU- Arbeitsmarkt braucht. Integration?

Antifaschistische Willkommenskultur

Fluchtursachen zu benennen und zu bekämpfen heißt auch, sich von den Geflüchteten erklären zu lassen, wie z. B. Landgrabbing im Sudan funktioniert, ihnen eine Stimme zu geben, um greifbar zu machen, welche verschiedenen Interessen hinter Verfolgung und Vertreibung stehen. Um zu verstehen, dass der Islam genauso unterschiedlich zu bewerten ist, wie das Christentum von der Befreiungstheologie über Protestantismus, Evangelikalismus, Baptistismus, Orthodoxien bis hin zur Hexenverfolgung.
Ebenso sollten wir uns damit auseinandersetzen, wie weit Rassismus geht – auch in den eigenen und unterstützenden Reihen. Refugees zu fragen ist besser, als für sie zu denken. Die Massenbewegung der Unterstützenden ist stark vom Humanismus geprägt, aber eben auch von Bevormundung und der egoistischen Hoffnung, eine dankbare Arbeit zu machen.
Ziel der Integration muss sein, den Kompetenzen, Andersartigkeiten, Schwächen und Stärken in ihrer Individualität Raum zu geben. Erst wenn andere Traditionen Raum haben, kann Auseinandersetzung entstehen. Und es kann passieren, dass nicht die deutschen die besseren Werte und Normen sind. Dafür müssen die Möglichkeiten der Selbstorganisation gefördert werden.
Natürlich ist es auch notwendig, die Willkommenskultur mitzugestalten; den Wunsch, bzw. die Notwendigkeit nach selbstgewählter Arbeit, Ausbildung, Studium oder Praktika, nach gutem Wohnraum und Familiennachzug, nach dem Recht auf Asyl zu unterstützen. Dabei bleiben, hartnäckig sein, Gesetze kennen hilft. Anfangs unmöglich Erscheinendes kann oft im Guten enden. In Heideruh wurde bisher keiner gegen seinen Willen abgeschoben.

Bea Trampenau ist Geschäftsführerin von Heideruh, aktiv im »Runden Tisch gegen Rassismus, Homo- und Transphobie« in Hamburg.

Episoden

Ich wandere mit ihnen durch den Wald auf den Brunsberg. Die Stimmung ist gut. Wir wandern zurück – in den Wald. Ich als einzige Frau mit neun Männern, die ich nicht unbedingt kenne und verstehe. Ich fühle mich so sicher wie es nur geht. Und ich frage mich, ob ich mich so sicher mit neun deutschen Männern fühlen würde.