An die Macht!
21. November 2016
Der Plan des Front National
Die Choreographie für die Vergabe des stärksten politischen Amtes Westeuropas – die französische Präsidentschaft – hat aufgrund ihrer Ritualisierung etwas Erbarmungsloses, im Falle der kommenden Wahl sogar drohend Verhängnisvolles. Mit Sicherheit wird einer der beiden Kandidaten für die Stichwahl am 7. Mai 2017 Marine le Pen heißen. Und mit einer nie dagewesenen Wahrscheinlichkeit wird ihr Gesicht Punkt 20 Uhr als das Porträt des zukünftigen Präsidenten auf den Bildschirmen erscheinen.
Bereits 2002 war ihr Vater, Jean-Marie, bis in die Stichwahl vorgedrungen. Anders als damals hat die heutige Chefin des Front National eine reelle Chance auf den Sieg, mit unabsehbar negativen Konsequenzen für Frankreich und ganz Europa. Politik und Kultur haben begonnen, sich ganz ernsthaft auf den Sieg des FN einzustellen, bzw. sich mit den wahrscheinlichen Folgen auseinanderzusetzen. Die traditionellen Parteien scheinen gegen die national-sozialistische Ideologie des FN keine brauchbare Abwehr mehr aufbauen zu können. Der der Kandidatenaufstellung dienende Vorwahlkampf der konservativ-bürgerlichen Partei »Les Républicains« (früher UMP), inklusive Schaulaufen vor einer Unternehmerversammlung, zeigt Kandidaten, die sich inhaltlich weitgehend an den inhaltlichen Vorgaben des FN orientieren bzw. diese zu übertreffen versuchen. Buchtitel wie »Den islamistischen Totalitarismus besiegen« (François Fillon), »Für den starken Staat« (Alain Juppé) und »Alles für Frankreich« (Nicolas Sarkozy) sprechen davon. Ausgerechnet der ehemalige Präsident Sarkozy (»le Kärcher«) geriert sich als vielversprechender Mann gegen »das Establishment«. Die Kandidaten der Linken und ganz Linken mit ihrem Charme trauriger Dackel werden ohnehin nur noch unter ferner liefen vermerkt.
Der Blick auf den Projektplan (»Notre Projet«) des FN zeigt deutliche ideologische Unterschiede zur AfD, vor allem aber eine viel stärkere Gesetztheit und Selbstsicherheit. Man taumelt beinahe angesichts des entschiedenen Willens zur Macht, der einen in diesem Dokument anspringt. Das allererste Wort gilt dem Lob des Todes in den Kriegen der Nation. Es folgt ein radikales Aufrüstungsprogramm für das Militär, insbesondere seiner Marine-, Luftwaffen- und Nuklearstreitkräfte. Dann geht es um die Schaffung einer 50.000 Mann starken »Nationalgarde« (bereits durch die gegenwärtige sozialistische Regierung beschlossen), weiter um die umfassende Stärkung von Polizei und Geheimdienst und nicht zu vergessen der Rüstungsindustrie.
Leitbild und Götze ist »l’Etat fort«, der starke Staat. Es ist ein typisch französischer und beileibe nicht nur auf die Rechte begrenzter Aberglaube, dass der Staat alles richten könne, solle und müsse. Er und er allein soll dem FN zufolge die »Globalisierung« niederschmettern bzw. an den Grenzen Frankreichs abweisen. Aus dieser Sicht sind global agierende Konzerne als auch verzweifelte Afrikaner auf Schlauchbooten nur Ausdruck ein und desselben Phänomens. Auch NATO und EU sind demnach nur »trojanische Pferde« einer diffusen feindlichen Macht. Ausdruck höchster Souveränität und Problemlösungsfähigkeit ist für die FN die Gründung eines jeweils zuständigen Ministeriums, vorausgesetzt es erhält die nötigen Mittel und Befehlsgewalt. Außenpolitisch geht es zurück in die Kanonenboot- (heute Flugzeugträger-) politik mit der unverhohlenen Absicht, wenigstens den Rest der Kolonien mit Gewalt sichern zu wollen. In der Welt sieht man einen entscheidenden Partner: Russland. Mit diesem gelte es, eine »enge strategische Allianz« aufzubauen, beruhend auf einer »vertieften militärischen und energiepolitischen Partnerschaft«.
Wirtschaftspolitisch stehen ostasiatische Tigerstaaten Pate. Frankreich müsse planmäßig und unter Anleitung des Staates »reindustrialisiert« werden. Die Rückkehr zum Franc, in Wirklichkeit die Flucht in eine neue Währung, ginge einher mit einer neuen Staatsverschuldung über die man dank eigener Währung die Hoheit habe. Der FN verspricht sofortige positive Auswirkungen für die Bürger, allerdings nur für die »wahren Franzosen«. Der FN möchte nämlich mit der 200jährigen Tradition des Staatsbürgerschaftsrechts brechen und zu eine Art Blutrecht übergehen, resultierend in Massendeportationen unerwünschter »Ausländer«.
Die interessanteste sich stellende Frage ist, ob das französische Kapital verzweifelt genug ist, um sich auf ein solch unerhörtes Vabanquespiel einzulassen und le Pen zu unterstützen. Denn sicher ist, dass ein auch nur ansatzweise durchgeführter Projektplan die V. Republik an ihre politischen und sozialen Grenzen führen würde.
Notre Projet. Programme Politique du Front National, 116 Seiten
http://www.frontnational.com/pdf/Programme.pdf