Schweriner Erfahrungen
30. November 2016
Auf dem Marienplatz, da hat sich etwas verändert.
Wer im August 2015 auf den Marienplatz in Schwerin ging, sah sie fast nicht. Es waren erst wenige da. Plötzlich, im September 2015, hat sich da etwas verändert. Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea und einigen andern Länder waren in die Stadt gekommen. Sie fielen auf. Sie sahen anders aus. Sie sprechen eine andere Sprache. Nach einem Jahr, wie sieht die Situation hier in Schwerin heute aus?
Die Mehrzahl ist bereits wieder gegangen. Oft in Großstädte. Auf der Suche nach Arbeit, nach Familienangehörigen, nach Freunden und Bekannten ging es nach Hamburg, Berlin und auch ins Ruhrgebiet. Etwa 24.000 Flüchtlinge kamen 2015 nach Mecklenburg-Vorpommern. 6.000 blieben im Land, etwa 2.500 leben heute in Schwerin.
Sie konnten in leerstehende Wohnungen einziehen, bemühen sich, in der neuen Nachbarschaft Fuß zu fassen, besuchen Integrationskurse und Sprachkurse. Manche haben bereits begonnen zu arbeiten.
Die Registrierung hier in Mecklenburg-Vorpommern geht mittlerweile in der Regel schneller als in anderen Bundesländern. Hier haben viele Flüchtlinge ihre Aufenthaltstitel relativ schnell bekommen. Trotz hohen Wohnungsleerstandes in der Stadt war und ist es nicht immer leicht, eine passende freie Wohnung zu finden. Gelungen ist es inzwischen doch für die meisten Neuankömmlinge.
Schwieriger ist es in Sachen Arbeit. – In Schwerin gibt es nicht so viele Arbeitsplätze und die Arbeitsvermittler haben es nicht leicht. Besonders die Anerkennung der Arbeitserfahrung und der Qualifikation der Flüchtlinge ist schwierig. So unterscheiden sich die Ausbildungssysteme der Länder zum Teil sehr. Der Arbeitsmarkt ist in den Herkunftsländern oft deutlich weniger formalisiert als in Deutschland. Viele Menschen haben dort gearbeitet, ohne eine umfassende Ausbildung zu machen. Tischler ist eben derjenige, der mit Holz arbeitet.
Gelegentlich erschweren fehlende und unvollständige Unterlagen die Beratungstätigkeit der Jobvermittler und die unterschiedlichen Sprachen machen es nicht leichter. Dennoch, wer es schafft, sich am Schweriner Arbeitsmarkt zu orientieren und dort Arbeit findet, geht arbeiten. Auch als Hilfskraft, auch schlecht bezahlt.
Die Herausforderung Nummer 1 ist die Sprache. Viele Flüchtlinge besuchen Sprachkurse und haben ihre erste Sprachprüfung B1 schon bestanden. Trotzdem können sie nicht so gut sprechen. Ihnen fehlt die Praxis im Alltag und es fehlen die deutschen Gesprächspartner. Einige Flüchtlinge, die gerade ihren Integrationskurs machen, haben nach dem Unterricht reichlich freie Zeit. Sie bleiben oftmals zuhause. Und manchem fällt dort sprichwörtlich die Decke auf den Kopf. Fast 20 Stunden in der Woche Däumchen drehen. Das ist nicht jedermanns Sache. Etwas tun, das möchten sie. Beschäftigt sein. Auch hilfreich sein und so fragen sich auch junge Flüchtlinge, ob sie etwas ehrenamtlich machen dürfen. – Aber was? Und wo? Hier fehlen konkrete Angebote, fehlen vor allem deutsche Ansprechpartner und Mitstreiter. – Und so organisieren sich die Geflüchteten eben auch selbst. Sie sind in der Flüchtlingshilfe Schwerin e.V. aktiv und die Projekte und praktische Arbeit von Ma’an – Miteinander e.V. sind lebendige Beispiele für die so genannte »Migranten-Selbst-Organisation«.
Viele Flüchtlinge finden die Gesetze hier in Deutschland kompliziert. Manche finden die Gesetze unfair, besonders das neue Integrationsgesetz. Dem zufolge müssen zahlreiche Personen noch mal umziehen, obwohl sie Wohnungen gefunden haben und ihre Kinder in der Schule oder im Kindergarten gut aufgenommen worden sind.
Auf der Flucht besuchen die Kinder keine Schule. So gibt es Kinder, die zwei Jahre oder länger nicht in der Schulen waren und nun fehlen in Schwerin Schul- und Kindergartenplätze für einige von ihnen. Wie soll die Zukunft dieser Kinder aussehen?
Den jungen Flüchtlingen, besonders diejenigen, die keine Familie in Deutschland haben, fehlt es gelegentlich an Orientierung in der neuen Gesellschaft. Einige langweilen sich hier sehr. Sie wünschen sich, etwas zu machen, nicht immer zuhause zu bleiben oder auf der Straße »abzuhängen«. Patenschaften für junge Menschen könnten eine gute Unterstützung sein.
Viele Flüchtlinge aus allen Ländern belastet die schleppende »Familienzusammenführung« sehr. Menschen, die ohne ihre Familien hierher kamen, sind häufig in den Gedanken bei ihren Angehörigen. Sie sind also nicht wirklich hier angekommen. Sie sorgen sich um das Wohl und das Leben und fragen sich, ob ihre Familien in Gefahr sind. Sie organisieren von Deutschland aus Hilfe für die, die in der Heimat in Not sind oder für diejenigen, die in auf der Flucht in Camps gelandet sind. Dies macht die Integration schwerer.
Wer kann sich schon auf den Sprachkurs, die Ausbildung oder die Arbeit konzentrieren, wenn im Heimatdorf Bomben fallen und gemordet wird? Wenn Schlepper die Familienmitglieder als Geiseln nehmen um Geld zu erpressen?
Und dann tut es doch gut, auf den Marienplatz zu gehen, Freunde zu treffen. In Sicherheit und in Frieden.