NS-Justiz nach 1945

geschrieben von Ulrich Sander

15. Dezember 2016

Nachkriegsurteile gegen Naziopfer müssen endlich aufgehoben werden!

Das Düsseldorfer Landgericht hat im September 1961 Karl Bennert aus Solingen zu neun Monaten Gefängnis verurteilt und lange Zeit in Untersuchungshaft gehalten, weil er die Friedensbewegung kommunistisch infiltriert haben soll. Karl Bennert  sei bezeichnenderweise »bereits im Jahre 1934 wegen Staatsgefährdung für 19 Monate hinter Schloß und Riegel gesetzt« worden, berichtete die Lokalpresse. Auch das Nachkriegsgericht bezog sich ausdrücklich auf Bennerts antifaschistischen Widerstandskampf und seine damalige Verurteilung. Diese wurde als Vorstrafe gewertet – und so geschah es in unzähligen Verfahren der politischen Strafjustiz. In vielen Fällen waren die Richter über die NS-Verfolgten solche, die schon vor 1945 »Recht« sprachen.

Die Studie »Die Akte Rosenburg« ist auf den Seiten des Ministeriums einzusehen (www.bmjv.de)

Die Studie »Die Akte Rosenburg« ist auf den Seiten des Ministeriums einzusehen (www.bmjv.de)

Zudem wurde den ehemaligen kommunistischen Widerstandskämpfern in der BRD im Falle ihrer erneuten Verurteilung häufig die Entschädigungszahlung für erlittenes Unrecht aus der Nazizeit entzogen, weil sie gegen Paragraph 6 des Bundesentschädigungsgesetzes verstoßen und »gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung« gearbeitet hätten. Die Zahl der Verurteilungen in politischen Prozessen gegen die »unbelehrbaren« Linken wird auf rund zehntausend geschätzt. Das KPD-Verbotsurteil bot Nazijuristen vielfältige Möglichkeiten, die Verfolgung ihrer Gegner fortzusetzen.
Jetzt wurde eine Studie über die personelle Zusammensetzung des Bundesjustizministeriums in den Jahren bis Ende der Siebziger bekannt. 77 Prozent waren ehemalige NSDAP-Mitglieder. Der Forscher Christoph Saffering stellte fest: »Man findet nirgends Worte des Bedauerns« (Süddeutsche Zeitung, 10.10.16).
Allerdings gab es vor zwanzig Jahren einmal Worte des Bedauerns. Und zwar als der Bundesgerichtshof (BGH), 5. Senat in Berlin, sich von seinen Urteilen zugunsten der furchtbaren Juristen des Naziregimes abwandte, die als NS-Richter Todesurteile zu verantworten hatten. Die BGH-Selbstkritik: Die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland sei in den 50er Jahren zum Teil »politische Justiz« gewesen. Wie kam es zu dieser Einsicht? Es galt, die DDR-Richter und Staatsanwälte pauschal zu verurteilen und dazu hätte der pauschale Freispruch für die NS-Justiz nicht mehr gut gepasst. Die Selbstkritik des BGH wurde zur Begründung für die faktische Fortsetzung der Justiz zugunsten alter Nazis und des Kalten Krieges genommen. Denn es wurden nicht die politischen Urteile des BGH aufgehoben, die verbindlich waren für das gesamte Rechtswesen in den fünfziger und sechziger Jahren. Auf der Grundlage dieser Urteile sind Kommunistinnen und Kommunisten und solche, die man dafür hielt, darunter antifaschistische Widerstandskämpfer, die unter Hitler gelitten hatten, von einer bundesdeutschen Gesinnungsjustiz zu Haftstrafen bis zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Es wurde gegen eine halbe Million Bürgerinnen und Bürger ermittelt. Arbeitslosigkeit, Berufsverbote und erhebliche Diskriminierungen für völlig Unbeteiligte waren zig tausendfach die Folge. Bis heute sind die Opfer dieser Justiz des Kalten Krieges nicht rehabilitiert worden. Ihre Renten sind gemindert, ihre Rentenansprüche als Opfer des Faschismus blieben aberkannt.
Während unbelehrbare Nazis höchste Staatsämter erklommen und größte Pensionen verzehrten, blieb es bei den Strafen für ihre Opfer und beim Entzug der sog. Wiedergutmachung. Über die Mehrheit der Nazijuristen, die bis in die siebziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland Recht sprachen, wird nun endlich berichtet. Wann werden ihre über zehntausende Opfer rehabilitiert? Müssen wir auf »Worte des Bedauerns« erneut 50 Jahre warten?
Wie weiter mit der politischen und juristischen Auseinandersetzung um das KPD-Verbot, das in diesem Jahr seinen 60. Jahrestag hatte? Diese Frage stellte sich auch der Bundesausschuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/VVN-BdA, der die Forderung nach Aufhebung des KPD-Verbortsurteils bekräftigte. Da die Verwirklichung dieser Forderung nicht leichter wird, denken Demokraten und Antifaschisten über eine Alternative beziehungsweise Sofortmaßnahme nach. Es besteht bei der VVN-BdA Interesse an der Lösung à la § 175, d.h. man greift nicht nur das gesamte Verbotsurteil an, sondern vor allem die einzelnen Bestrafungen und fordert eine Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, so wie die älteren Homosexuellen jetzt die Aufhebung ihrer Urteile anstreben.
Damit wäre Karl Bennert nicht mehr persönlich geholfen, aber sein Andenken wird nicht länger beschädigt. Für seine Rehabilitierung setzte sich auch die VVN-BdA Solingen ein, welche jetzt die Aufstellung einer Stele für ihn durchsetzte. Damit soll auch daran erinnert werden, dass er 1945 mit der Aktion »Weiße Tücher« die kampflose Übergabe seiner Stadt an die US-Army durchsetzte, die ihn dann mit der Ermittlung gegen Gestapobeamte beauftragte, welche über 60 Kriegsendphasenopfer in der Wenzelnbergschlucht ermordeten. Bennert konnte Täter namhaft machen. Sie wurden nie bestraft, nur er selbst.