Gerade jetzt und gerade hier
14. Februar 2017
Das »Aufstehen gegen Rassismus« wird 2017 noch wichtiger
Eine knappe Woche vor Weihnachten die Horrormeldung: Ein vermutlicher Islamist bemächtigt sich eines schwer beladenen Lkws, um damit in die Menschenmenge auf dem zentralen West-Berliner Weihnachtsmarkt zu fahren. Nachdem zu jedem der letzten Anschläge in Frankreich und Belgien der Innenminister mit sorgenzerfurchter Miene noch vor dem ersten Wort der Anteilnahme gegenüber Opfern und Hinterbliebenen mitteilte, auch Deutschland stehe im Fokus, hat der reale Anschlag kaum noch jemanden überrascht. Auch ein Weihnachtsmarkt als Ziel war ja schon im letzten Jahr öffentlich herbeispekuliert worden. Die meisten Menschen, die zufällig vor einem Mikrophon landeten, reagierten erstaunlich rational und unaufgeregt.
In den »Brennpunkten« der Fernsehsender war von den Opfern kaum die Rede, dafür wurden alle Details aus den Ausländer-Akten des ersten – zu Unrecht – Verhafteten und des zweiten mutmaßlichen Täters ausgebreitet und reichlich genutzt, um über den Verzug bei der Erklärung der Maghreb-Staaten zu »sicheren Herkunftsländern« zu lamentieren.
Deutschland muss abschieben und Deutschland muss Druck machen auf die Länder, in die abgeschoben werden soll. Deutschland muss prüfen, wer ins Land will und plötzlich wird auch reklamiert, dass im Schengen-Raum geprüft wird, wer wann welche Grenze überschreitet. Die Länder, in die abgeschoben werden soll, sollen nicht prüfen, sondern nehmen, wen immer man zu ihren Staatsbürgern erklärt. Der Flüchtling in Deutschland ist ein Sicherheitsrisiko, vor allem, wenn sein Herkunftsland angeblich sicher ist.
Die Herren von CDU und CSU, die in der zweiten Welle vor die Kameras treten, haben »kein Verständnis« mehr für Datenschutz-Bedenken gegen generelle Kamera-Überwachung; was seit Jahren vergeblich versucht wurde, wird jetzt einfach »umgesetzt«, auch die SPD »sperrt sich nicht mehr«. Auch der Datenaustausch im Besonderen und die Zusammenarbeit ganz allgemein muss zwischen Polizei und Geheimdiensten verbessert werden. Mehr Personal, mehr Ausrüstung, mehr …
Kein Wort, kein Gedanke daran, dass Anschläge mit zwölf Toten in weiten Teilen der Welt zum Alltag gehören. Nicht »kulturell«, sondern eher regime-change-, kriegs- oder bürgerkriegs-bedingt. Im Irak, in Afghanistan, Libyen, in Ägypten, Tunesien, Mali und Nigeria, von den Kriegen in Syrien, im Jemen in weiten Regionen Afrikas (über die man traditionell immer erst spricht, wenn eine Intervention bevorsteht) ganz zu schweigen.
Genau deshalb müssen wir darüber sprechen. Die Länder, deren Territorien man einst als Kolonien selbstherrlich untereinander verteilt und deren Grenzen man genauso selbstherrlich festgelegt hat, wie man es für selbstverständlich hält, dass ihre Regierungen sich fügen und ihre natürlichen Reichtümer als strategische Rohstoffe zur Verfügung stehen, funktionieren nicht mehr. Es funktioniert auch nicht mehr, einfach eine neue Regierung zu bestimmen. Und es funktioniert nicht mehr, dass die Menschen, denen so die Lebensgrundlagen genommen werden, still vor sich hin verhungern.
Die modernen Kommunikations- und Verkehrsmittel haben Entfernungen relativiert, und wer die Wahl hat zwischen Elend, Unterdrückung und Krieg oder Flucht, der macht sich auf. Andere wählen rückwärtsgewandte und gewalttätige Alternativen. Und beides ist nicht mehr weit weg, sondern mitten in der globalisierten Welt und mitten unter uns.
Pakt mit Erdogan, Pakt mit den Regierungen von Eritrea, Sudan, Niger und der selbst gebastelten »Einheitsregierung« in Libyen, Militäreinsatz in Mali selbstverständlich kombiniert mit einem »Rücknahme«-Abkommen – vermutlich für jeden, dessen Herkunft man irgendwo in Westafrika vermutet; mit Menschenrechten hat das alles nichts zu tun, mit Menschenhandel schon eher. Diktatoren werden dafür bezahlt, dass sie »uns« die Boten des Elends, das deutsche und europäische Politik mit verursachen, aus dem Blick halten.
Dort, wo das nicht (mehr) funktioniert, will Deutschland mehr »Verantwortung« übernehmen und Trumps Ansage, Europa müsse militärisch selbst aktiver werden, ist der willkommene Anlass, um die großen Ziele des 2016er »Weißbuchs« der Bundeswehr ein bisschen schneller zu erreichen. Der »Terror« dient als Katalysator für Abschottung und Militarisierung nach Außen und die Orientierung auf einen »starken Staat« im Inneren.
Beides ist brandgefährlich und beides greift wesentliche Themen und Ziele der AfD und der Bewegung, die sie repräsentiert, auf. Wir haben im kommenden Jahr selbstverständlich alle Kraft darauf zu verwenden, den Vormarsch dieser extrem rechten Partei zu stoppen und zurückzudrängen, wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass ihr Auftreten schon jetzt zu einer deutlichen Verschiebung des Kräfteverhältnisses nach rechts geführt hat.
Das Motto unseres Bundeskongresses am 1. und 2. April lautet: Deutsche Großmachtträume platzen lassen. Rechtsentwicklung stoppen. Menschenrechte verteidigen. Das werden wir nur mit vielen Bündnispartnern schaffen können. Am besten, wir fangen gleich damit an.