Die Wege des Widerstands
20. März 2017
Lebensbilanz eines engagierten Zeithistorikers
Vom heimatlichen Ahrensbök über New York nach Auschwitz und zurück führt die Spurensuche Jörg Wollenbergs nach seiner eigenen Vergangenheit und zugleich nach verpassten Gelegenheiten für einen Neubeginn nach der Befreiung vom Faschismus. Zu seinem 80. Geburtstag beschenkt er seine Freunde und sich selbst mit der Umsetzung eines über Jahrzehnte gewachsenen Buchprojekts. Der erste Band soll Ende Januar, der zweite im März vorliegen. Ein beigefügter USB-Stick enthält Ausstellungszeitungen und Videointerviews mit Zeitzeugen, Männern und Frauen des Widerstands. Die Titelblätter schmücken Portraitzeichnungen von Frans Masereel, übereicht von Theo Pinkus, und Theodor Lessing aus der Hand Alfred Hrdlickas. Der 500 Seiten umfassende Doppelband spiegelt die Wirkung Jörg Wollenbergs wieder, sein Engagement in der Weiterbildung bei Volkshochschule und Gewerkschaft, die Orte seiner Tätigkeit, Bielefeld, Göttingen, Hannover, Nürnberg, Bremen, sein tiefgefächertes gesellschaftspolitisches Engagement, seine fortdauernde Begegnung mit Zeitzeugen in Deutschland, USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Polen. Vor allem aber unterstreicht sie sein Anliegen, zu verdeutlichen, welche Ideen aus vorfaschistischer Zeit in die Neuordnung der entstehenden westlichen Bundesrepublik einflossen und welche Wege des Widerstands im aufkommenden Kalten Krieg verschüttet wurden. Ausgerechnet der Staatsrechtler Carl Schmitt, der ideologische Wegbereiter des völkischen Nationalismus, wurde in der Adenauerzeit Vorkämpfer eines konservativen Roll-back.
Jörg Wollenberg erinnert an die »Zeitung der Jungen Generation«, in der sich 1945/49 Linkskatholiken wie Theo Pirker, Burkhard Lutz und Ernst Schumacher mit der Rolle ihrer Väter auseinandersetzten. Er erinnert an den Teil der Kriegskindergeneration, die gegen das Vergessen-machen der braunen Vergangenheit ankämpften. Im »Krieg der Erinnerungen« setzt er sich mit den »verpassten Chancen« auseinander, den Plänen verschiedener Widerstandsgruppen für eine »Neuorientierung«, so z.B. mit der Heidelberger »Aktionsgruppe zur Demokratie und zum freien Sozialismus«. Er erinnert an die Hoffnung auf die Einheit der Arbeiterbewegung, an das Buchenwalder Manifest (nicht an den Schwur von Buchenwald!). Vehement fordert Jörg Wollenberg den Schlussstrich-Bemühungen und einer Relativierung des Ausrottungsprogramms des Nazireiches entgegenzutreten, die er in einer Europäisierung und Historisierung des 20. Jahrhundert entdeckt. Zweifel an der deutschen Kriegsschuld durch rückwärtsgewandte Interpretationen des Ersten Weltkriegs, Ernst Noltes Behauptung, die »braune Revolution von 1933« sei bloß die Antwort auf die Oktoberrevolution, oder die Gleichsetzung von Hitler und Stalin sieht er als Vorboten einer Verdrängung der Singularität von Auschwitz. Vehement prangert Jörg Wollenberg den denunziatorischen Umgang der bundesdeutschen Historikerzunft mit der Rolle der »Funktionshäftlinge« in den KZ an. Mit Fritz Stern warnt er vor einem »Verlust der Erinnerung«, auch an die überlebenden Emigranten, die sich »am Aufbau eines neuen Deutschland beteiligten«. Er warnt vor dem »Radikalismus der Mitte« in der aufkommenden »Entfremdungsdebatte« um eine »deutsche Leitkultur«.