Stereotype aufgelöst
4. Mai 2017
antifa-Gespräch über einen neuen Dokumentarfilm mit polnischen Befreiern Berlins
antifa: Wie kam es zu eurem Film über polnische Kriegsveteranen und -veteraninnen?
Christian Carlsen: Die Berliner VVN-BdA hatte mich und Philipp Jansen 2012 gebeten, anlässlich des 67. Jahrestags der Befreiung den Besuch von zehn ehemaligen polnischen Soldaten und Soldateninnen in Berlin filmisch zu begleiten. Zunächst stand eine Dokumentation im Vordergrund. Schnell zeigte sich aber, dass wir es mit wirklich spannenden Menschen zu tun haben, deren persönliche Erlebnisse und Perspektiven noch nie erzählt wurden.
Kamil Majchrzak: Wir wollten zeigen, dass sich den Herausforderungen einer europäischen Erinnerung nur grenzüberschreitend begegnen lässt. Es gibt in Deutschland eine Generation von Menschen, die sich ihrer solidarischen Verantwortung für demokratische und antifaschistische Werte bewusst ist und sich dafür einsetzt, dass der polnische Beitrag für die Befreiung vom Faschismus gewürdigt wird.
antifa: Warum hat die Realisierung des Films so lange gedauert?
Christian Carlsen: Wie so oft lag das am Geld und fast wäre das Projekt gescheitert. Angesichts des hohen Zeitdrucks, der sich aus dem Alter der Protagonisten ergab, mussten wir die Finanzierung extern organisieren. Dank einer Förderung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (SdpZ) konnten wir einen Rohschnitt herstellen und die Arbeit Anfang diesen Jahres abschließen.
antifa: Was unterscheidet den Film von anderen Produktionen?
Christian Carlsen: Wir haben uns bewusst gegen Erklärungen aus dem Off oder historisches Bildmaterial entschieden. Wir wollten die Überlebenden bei ihrer Rückkehr an die historischen Orte zeigen, wo sie seit 1945 nicht mehr waren. Der polnische Beitrag am Kampf gegen den Faschismus spielt im historischen Bewusstsein in Deutschland keine Rolle. Daran ändern die zahllosen Dokumentationen nichts, die beiläufig auch polnische Einheiten erwähnen. Woher diese kamen und was die Menschen antrieb, wird nicht erklärt.
Kamil Majchrzak: Kaum jemand weiß, dass an den Kämpfen um Berlin insgesamt 170 000 polnische Soldaten und Soldateninnen teilnahmen, zwölf 000 von ihnen kämpften in der Innenstadt. Welche Umwege sie nach Berlin führten, das wollten wir mit diesem Film zeigen. Dabei halfen uns die Überlebenden selbst, die politischen Ambivalenzen aufzuzeigen, denn sie berichten von den schweren Entscheidungen, vor die sie als junge Menschen in Polen gestellt waren. Einerseits der Auftakt zum Vernichtungskrieg durch den deutschen Überfall auf Polen 1939, andererseits die sowjetische Besatzung der östlichen Teile von Polen. In der Folge stalinistischer Deportationen politisch Missliebiger wurden 1940-1941 zehntausende Polen nach Sibirien verschleppt. Die Protagonisten unseres Films fanden so erst im Jahre 1943 Aufnahme in die, in der Sowjetunion geschaffene, 1. Polnische Armee unter General Zygmunt Berling.
antifa: Wie verliefen die Dreharbeiten?
Christian Carlsen: Anfangs waren unsere Gäste merklich unsicher. Doch Kamil hatte einen Musiker organisiert. Das herzliche Willkommen und das Erklingen einer in Polen sehr bekannten Melodie (»Przed nami Odra«, deutsch: Vor uns die Oder), ließen das Eis brechen. Am Nachmittag trat die Gruppe im Haus der Demokratie vor junge Berlinern auf, die gespannt zuhörten, wie die Aufnahme in die Kościuszko-Division fanden – etwa aus der sibirischen Deportations-Haft oder als ehemalige Partisanen der Armia Krajowa (AK), die sich nach dem gescheiterten Warschauer Aufstand freiwillig meldeten. So erfuhren sie nicht nur etwas über die komplizierten polnisch-deutschen, sondern auch überdie polnisch-sowjetischen Beziehungen während des 2. Weltkrieges.
antifa: Es ist also auch ein Film über deutsch-polnische Versöhnung?
Kamil Majchrzak: Ich bin davon überzeugt, dass die Offenheit, mit der sie von deutschen Antifaschisten begrüßt wurden, ein stückweit bestimmte Stereotype über die deutschen Nachbarn aufgelöst hat. Plötzlich versuchten die Kombattanten, andere Aspekte aus ihren Erlebnissen hervorzuheben. Kapitän zur See Henryk. L. Kalinowski, einer der ersten Polen, die Berlin erreichten, unterstrich, dass er nicht gegen Deutsche kämpfte, sondern gegen die faschistische Ideologie, und dass er sich nicht mit Angehörigen der Roten Kapelle oder des Goerdeler-Kreises versöhnen musste, denn sie kämpften schon damals auf der gleichen Seite. Lech Tryuk, der als Minderjähriger im Warschauer Aufstand kämpfte und sich später zur Kościuszko-Division meldete, erklärte sichtbar erleichtert, dass er froh sei, dass wir uns nun als gute Nachbarn begegnen und nicht mehr als Feinde.
antifa: Wie soll es mit dem Film weitergehen?
Christian Carlsen: Wir wollen mit dem Film 2017 auf Festivals gehen. Es wäre toll, wenn wir einen Fernsehsender und einen Vertrieb fänden. Es gibt bereits einige Nachfragen für Filmvorführungen. Wünschenswert wäre es, wenn z.B. die Landesvereinigungen der VVN-BdA, Veranstaltungen mit dem Film organisierten. Wir wollen versuchen, möglichst viele davon persönlich zu begleiten.
Anfragen von Bildungseinrichtungen, Vereinen, Kinos etc. bitte an info@kassiberfilms.com